: Versicherung muß für Vobo zahlen
■ Gericht entschied: Auch für Ordnungswidrigkeiten gegen die Volkszählung besteht Rechtsschutz durch Versicherungen / Boykott–Aufruf „unter keinen Umständen“ „mutwillige“ Herbeiführung eines Rechtsstreits
Von Vera Gaserow
Berlin (taz) - Rechtsschutzversicherungen müssen auch die Gerichts– und Anwaltskosten für Bußgeldverfahren im Zusammenhang mit der Volkszählung übernehmen. Mit diesem - nach Informationen der taz ersten - Urteil hat das Amtsgericht Villingen– Schwenningen einen vorläufigen Schlußstrich unter einen monatelangen Grundsatzstreit gezogen. Fast genau ein Jahr ist es her, da klingelten bei den Versicherungsgesellschaften die Telefone heiß. In den Vorstandsetagen der Versicherer trat man zu Krisensitzungen zusammen, und Bundesinnenminister Zimmermann schäumte: Die Vorstellung, Hunderttausende von Volkszählungsgegnern könnten den juristischen Widerstand gegen den Zensus von ihrer Rechtsschutzversicherung finanzieren lassen, weckte Alpträume. Politiker und Medien sahen den Staat in Gefahr, wenn „staatsfeindliche Umtriebe“ auch noch „allianzversichert“ würden und die professionellen Versicherer fürchteten eine Kostenlawine. Eilig ließen die großen Konzerne erklären, daß sie die Verfahrenskosten in Sachen Vobo keineswegs übernehmen müßten. Müssen sie aber doch, entschied nun das Amtsgericht Villingen–Schwenningen zuungunsten der ARAG–Versicherung. Nach Rücksprache mit der Hauptverwaltung in Düsseldorf hatte die ARAG Tuttlingen dem minderjährigen Sohn eines Versicherten den Rechtsschutz verweigert. Der Filius war angeblich beim Kleben von Vobo–Plakaten erwischt worden, was ihm später ein Ermittlungsverfahren wegen Aufrufs zu einer Ordnungswidrigkeit eingebracht hatte. Dieses Verfahren, so hatte die Versicherung argumentiert, habe er jedoch „mutwillig“ herbeigeführt, und dafür brauche man nun einmal nicht zu bezahlen. Die Gewährung von Rechtsschutz würde in diesem Fall sogar gegen die „öffentliche Ordnung verstoßen“. Außerdem hätte sich der Versicherte mit dem Boykottaufruf „in Gegensatz zu einem im Interesse des Sozialstaates beschlossenen und verkündeten“ Gesetz gestellt. Das jedoch, so entschied Amtsrichter Kimmig nun, tue eigentlich jeder, der vorsätzlich eine Ordnungswidrigkeit begeht, und da würden die Versicherungen ja auch zahlen. „Unter keinen Umständen“, heißt es in der Gerichtsentscheidung, könne davon gesprochen werden, daß der Rechtsstreit „mutwillig“ herbeigeführt worden sei. Auch daß der Versicherte in seinem Bußgeldverfahren verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Volkszählung geltend gemacht hatte, sei „durchaus legitim“. Die ARAG muß nun nicht nur die Kosten für das Bußgeldverfahren übernehmen, sondern darf auch noch für den Rechtsstreit um ihre Zahlungsverpflichtung zahlen. Ob die Versicherung gegen dieses Urteil in Berufung geht, war bisher nicht zu erfahren. (AZ 6 C 662/87)
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