Sesam öffne dich mit DDR–Paß

■ Für 300 Mark lebt sichs im Westen am besten: Westberliner kaufen auf Schwarzmarkt DDR–Pässe / Begrüßungsgeld, U–Bahn–Freifahrten und Kultur umsonst / DDR protestiert

Aus Berlin C.C. Malzahn

In wirtschaftliche Not geratene West–BerlinerInnen haben in den letzten Monaten ein Verfahren ausgeknobelt, Geld zu sparen. In einschlägigen Kreuzberger Kneipen kann man sich neuerdings für rund 300 Westmark einen DDR– Paß kaufen. Die Investition lohnt sich, denn danach gibt es „Berlin umsonst“: „Zunächst mal holt man sich einmal im Jahr die 100 Mark Begrüßungsgeld ab“, erzählt „Erwin“, der vor kurzem einen Ausweis mit Hammer und Zirkelemblem nebst gelber Zählkarte für 50 Mark erworben hat. „Damit hört der Segen aber keinesfalls auf,“ berichtet er weiter, „Berliner Museen und Ausstellungen sind umsonst.“ Grüne Woche und das ganze Zeug gratis. Schwimmbad, hereinspaziert!“ Erwin kann mit seinem blauen Paß nicht nur die Leistungen der „Kulturstadt Europas“ in Anspruch nehmen, sondern auch kostenlos U–Bahn und Busse benutzen. „Dieser Ostblaue ist hier im Westen ein Sesam–öffne–dich“, versichert er. „Da keiner genau weiß, wie ein Blauer wirklich aussieht und da man dem Osten sowieso nur miese Druckqualität zutrauen wird, geht die plumpeste Fälschung allemal durch!“ freut sich Erwin. Bei Menschen im Rentenalter funktioniere der Trick am besten, erzählt er, da man sich aber auch an „jüngere Semester“ gewöhnt habe, die von Ost nach West reisen, haben auch Twens eine Chance auf preisgünstige Alltagsgestaltung. Durch den Paßhandel konnten die DDR–Bürger ihr Image im Westen deutlich verbessern. Neuerdings gelten sie nicht mehr als „Zonis“, sondern werden als VIPs - very important proletarians - hofiert. Der blaue Paß macht eben aus jedem „Ost– Prolli“ einen „Zonenadligen“! Die Alternative zur Jahreskarte der Berliner Verkehrsbetriebe stößt, seitdem der Berliner Lokalteil der taz in der vergangenen Woche ein Interview mit Erwin veröffentlichte, auf erhebliche Kritik von seiten der DDR Staatsorgane. Die DDR–Nachrichtenagentur ADN zu den Vorfällen in einer Meldung vom Sonntag: „Alle solcherlei Praktiken sind, wie ADN erfährt, nur dazu geeignet, den Reiseverkehr zu belasten.“ ADN ärgert sich nicht nur darüber, daß mit dem innerdeutschen Paßhandel „auf betrügerischem Wege Vorteile erschlichen werden“. In der Montagsausgabe des Neuen Deutschland geißelt das Zentralorgan des Arbeiter– und Bauernstaates auch noch andere Fälschungen: „So wird im Verkehr zwischen der BRD, Berlin (West) und der DDR eine primitive, im Westen hergestellte Falschausgabe des Neuen Deutschland verbreitet.“ „Besondere Beachtung findet dabei, daß diese Fälschungen auch in den Rathäusern von Kreuzberg und Schöneberg in Berlin (West) ausgelegt sind“. schreibt das Neue Deutschland weiter. Die West–Berliner Staatsanwaltschaft hat gestern wegen des Handels mit den blauen Pässen ein Ermittlungsverfahren wegen Urkundenfälschung und Betrugs gegen Unbekannt eingeleitet. „Eigene Erkenntnisse liegen uns noch nicht vor“, erklärte der Justizpressesprecher auf Anfrage.