RadiAktiv in der Berufung

■ Drei Redakteure des bayerischen Anti–WAA–Magazins wegen Aufforderung zu Straftaten und Verunglimpfung des Staates angeklagt / Anklage aus drei Textstellen konstruiert / „Freiraum“ als Beweis für Interpretation des Staatsanwalts

Aus Nürnberg Bernd Siegler

Unter völlig anderen Vorzeichen begann die Berufungsverhandlung gegen drei Redakteure des Anti–WAA–Magazins RadiAktiv vor dem Nürnberger Landgericht - diesmal keine Leibesvisitation der Besucher, keine Absperrungen vor und bewaffneten Beamten im Gericht. Die Magazin–Redakteure müssen sich wegen mehrfacher Aufforderung zu Straftaten und Verunglimpfung des Staates verantworten. In der ersten Instanz am 2. März 1987 waren die Redakteure wegen Verunglimpfung des Staates durch ein mit Knüppel, Polizeihund und Helm verfremdetes bayerisches Staatswappen und wegen Aufforderung zu Geheimnisverrat zu Geldstrafen zwischen 900 und 3.600 DM verurteilt worden. Vom Hauptanklagevorwurf der Aufforderung zu Sachbeschädigung und Brandstiftung hatte das Amtsgericht sie freigesprochen. Noch am gleichen Tag legte die Staatsanwaltschaft Berufung ein. Sie wollte ihre Anklagekonstruktion aus drei räumlich getrennten Textpassagen in der RadiAktiv–Ausgabe 7 im Urteil berücksichtigt sehen. Ein bereits in der taz veröffentlichter Diskussionsbeitrag zur Perspektive des WAA–Widerstands, verbunden mit einem dokumentierten Bekennerschreiben zu einem Brandanschlag und einer Liste der am Bau der WAA beteiligten Firmen, soll - so Staatsanwalt Breitinger - beim „unbefangenen Durchschnittsleser“ als eindeutige Aufforderung zu Straftaten verstanden werden können. Während in der ersten Instanz alle Beweisanträge der Verteidiger im richterlichen Papierkorb gelandet waren, überraschte Landrichter Jungkunz, als er den grünen Landtagsabgeordneten und WAA–Experten Prof. Armin Weiß als Sachverständigen zuließ. Weiß bestätigte, daß die WAA Bayern zum Atomstaat macht. Er wies daraufhin, daß selbst in der von der WAA–Betreiberfirma DWK herausgegebenen Kurzbeschreibung der WAA eine Liste der wichtigsten am Bau der WAA beteiligten Firmen steht. Um den Hauptanklagevorwurf zu untermauern, ließ Staatsanwalt Breitinger - ganz im Sinne der Er forschung des vielzitierten Gesamtzusammenhangs - Passagen aus der nicht inkriminierten RadiAktiv–Nummer 5 verlesen. Dort war neben der sogenannten Schwarzen Liste ein Ausschnitt aus der Mittelbayerischen Zeitung zu einem Brandanschlag angebracht. Als neues Beweismittel wollte er die Münchener anarchistische Zeitschrift Freiraum, schon wiederholt Zielscheibe staatlicher Verfolgung, heranziehen. Der Freiraum Nr.12 hat die Liste aus RadiAktiv abgedruckt und mit Bekennerschreiben garniert. Breitinger wollte damit beweisen, daß „die Schwarze Liste von radikalen WAA–Gegnern dahingehend verstanden wird, gewaltsame Aktionen gegen Firmen auszuführen“. Für den Hamburger Anwalt Uwe Maeffert war es das erste Mal, daß „in einem Pressedeliktsverfahren zum Beweis für irgendetwas ein Text aus einer Zeitschrift verlesen wird, der nicht Gegenstand des Verfahrens und dessen Herkunft völlig ungewiß ist“. Er sprach von „Gesinnungsjustiz“. Trotzdem gab Landrichter Jungkunz dem Beweisantrag statt. Die Verhandlung wird morgen um 8.30 Uhr im Saal 619 fortgesetzt.