Palästina wird zum Sperrgebiet

■ Die Grenzen zu den besetzten Gebieten sind seit gestern dicht / Nur isreaelische Soldaten und jüdische Siedler dürfen die Grenzen zum Besatzungsland noch passieren / Blockade zum „Tag des Bodens“ / Verteidigungsminister Rabin: „Jetzt laßt uns sehen, wer stärker ist“

Jerusalem (rtr/afp/ap/taz) Fast vier Monate nach dem Beginn des palästinensischen Aufstands in den besetzten Gebieten ist Israel am Montag abend in die Offensive gegangen: Zum ersten Mal seit der Eroberung im Jahre 1967 wurden die Westbank und der Gaza–Streifen für die gesamte Bevölkerung hermetisch abgeriegelt. Lediglich israelische Soldaten und die 70.000 jüdischen Siedler dürfen sich zwischen Montag 22 Uhr und Freitag 3.00 Uhr frei bewegen. Journalisten können nur mit Sondergenehmigung und in Begleitung eines Armeesprechers „einreisen“. Über den Gaza–Streifen wurde außerdem eine Ausgangssperre verhängt. Ungeachtet der beispiellosen Maßnahme kam es in der Westbank und dem Gaza– Streifen zu Protestaktionen. Dabei wurden in Saita (Westbank) vier Palästinenser angeschossen. Nähere Einzelheiten lagen zunächst nicht vor. Mit der Blockade will die israelische Regierung palästinensische Proteste am „Tag des Bodens“ verhindern. Der alljährlich begangene Gedenktag geht zurück auf den 30.April 1976, als sechs Palästinenser bei einer Demonstration gegen Landenteignungen getötet worden waren. „Ihr habt den Tag des Bodens erfunden“, sagte Verteidigungsminister Jitzhak Rabin von der Arbeiterpartei am Dienstag an die Adresse der Palästinenser. „Jetzt laßt uns wetteifern und sehen, wer stärker ist.“ Ministerpräsident Jitzhak Shamir vom Likud–Block kommentierte den beispiellosen Schritt mit den Worten: „Es gibt für alles ein erstes Mal.“ Fortsetzung: Tagesthema Seite 3 Kommentar auf Seite 4 Jedes Jahr am 30.März erinnern die Palästinenser an ihr verlorenes Land. Die Besatzungsmacht fürchtet offenbar eine Ausweitung des Volksaufstandes von der Westbank und dem Gaza–Streifen auf Israel und hat die Grenze, die auf keiner Landkarte verzeichnet ist, gesperrt. Keiner weiß, für wie lange.

Zum „Tag des Bodens“ der Palästinenser hat Israel die Grenze zu den besetzten Gebieten dichtgemacht

Fortsetzung von Seite 1: Die am Montagabend verhängte Sperrung der besetzten Gebiete heißt, daß Palästinenser aus der Westbank und dem Gaza–Streifen nicht mehr nach Israel fahren können und umgekehrt. Auch die Brücke über den Jordanfluß wurde für drei Tage gesperrt. Ausländer können allerdings auf dem mühsamen Weg über Jordanien noch in die Westbank fahren. Außerdem wurden Straßen zwischen größeren Städten in den Gebieten geschlossen. Die Armee will verstärkt Autos, Führerscheine und Personalpapiere überprüfen. Der Verein der Auslandspresse legte einen scharfen Protest gegen die Aussperrung der Journalisten ein. Das Ansinnen der Armee, handverlesene Reporter in Militärbegleitung in die besetzten Gebiete zu lassen, wurde zurückgewiesen. Da auch die Telefonverbindungen zwischen Israel und dem Gaza–Streifen sowie der Westbank am Dienstag unterbro chen waren, fiel die Berichterstattung zunächst völlig aus. Seit dem Ausbruch des Aufstandes am 8. Dezember sind wiederholt einzelne Orte oder Flüchtlingslager für die Medien zu „geschlossenen Gebieten“ erklärt worden, obwohl sich das Oberste Gericht gegen eine völlige Aussperrung von Journalisten und Fotographen ausgesprochen hatte. Politiker des nationalistischen Likud–Blocks von Ministerpräsident Shamir dagegen hatten mehrfach gefordert, die Berichterstattung aus den besetzten Gebieten zu untersagen. Israelische Militärkorrespondenten berichteten nach einem Treffen mit Generalstabschef Dan Shomron, der General schließe nicht aus, daß die totale Sperrung länger dauern könnte, wenn sich der Aufstand nicht anders bekämpfen lasse. Es ist möglich, daß die Blockade, die zunächst bis Freitag um drei Uhr früh begrenzt wurde, zumindest bis zum Wochenende anhalten wird, da es gerade nach dem Moscheebesuch an moslemischen Feiertagen häufig zu Demonstrationen und Auseinandersetzungen kommt. Falls die Abriegelung weiter andauert, wäre es auch denkbar, daß sie auf solche Regionen beschränkt wird, die Schauplatz palästinensischer Proteste sind. Bethlehems Bürgermeister Elias Freij, ein als gemäßigt bekannter christlicher Palästinenser, nannte die Sperrung den „falschen Weg“. „Die Araber können diese Beschränkungen überstehen“, meinte er, „das wird den Aufstand nicht beenden.“ Längst nicht alle israelischen Siedler in den besetzten Gebieten sind mit dem drastischen Schritt des Verteidigungsministeriums einverstanden, obwohl sie sich während der dreitägigen Blockade frei bewegen können. Kritiker unter ihnen wünschen sich vielmehr schärfere Maßnahmen: Die massenhafte Ausweisung von Palästinensern und eine Annexion der besetzten Gebiete. Sollte die Blockade länger bestehen bleiben, so fürchten sie, werde es dazu nicht kommen. Statt dessen könnte der Weg freiwerden für eine politische Lösung nach dem Shultz–Plan. In den letzten beiden Wochen hatten die Besatzungsbehörden bereits zu einer ganzen Serie wirtschaftlicher Boykottmaßnahmen gegriffen, um des Aufstandess Herr zu werden. Als ein weiteres wirtschaftliches Druckmittel könnte nun die permanente Schließung der Brücken über den Jordanfluß beschlossen werden, wie Wirtschaftsminister Gideon Patt am Montag andeutete. Das werde von der Situation in den nächsten Tagen abhängen. Die meisten Exporte der Palästinenser in der Westbank gehen seit zwanzig Jahren über die Jordanbrücken in die arabische Welt. Hunderttausende von Arabern - Besucher, Verwandte, Geschäftsleute, aber auch Tausende von Touristen - reisen jedes Jahr seit 1967 über die Brücken aus und ein. Ihre Schließung würden den Palästinensern in den besetzten Gebieten das Leben beträchtlich erschweren. Immer häufiger haben die israelischen Behörden in den vergangenen Tagen Ausgangssperren über Städte oder Dörfer verhängt, Männer versammelt, gefesselt und mit verbundenen Augen in eines der neu eingerichteten Gefangenenlager gebracht. Die meisten Auseinandersetzungen zwischen Palästinensern und Soldaten hatten in solchen Verhaftungen ihren Ursprung. Derartige Praktiken sind nun unter dem Ausschluß der Öffentlichkeit möglich. Wegen Platzmangel wurden auch Schulen in Armee– oder Gefangenenlager verwandelt. Mit den Kollektivstrafen und wirtschaftlichen Sanktionen will die Besatzungsmacht das tägliche Leben in den besetzten Gebieten unerträglich machen. Neben Methoden der militärischen Repression soll Zwietracht unter den Palästinensern gesät und dem Aufstand die Kraft genommen werden. Die Zeit drängt für die Israelis, doch eins wollen sie verhindern: daß die Palästinenser nach den Massenrücktritten von Beschäftigten der Besatzungsbehörden anfangen, eine eigene Verwaltung auf die Füße zu stellen. Auch eine „Autonomie“–Regelung, wie sie US–Außenminister George Shultz vorschlägt, wäre dann auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet.