Die Überbrückung der Unentschiedenheit

■ Was tun nach dem Diplom? / Eine Berufsberatung für AkademikerInnen findet nicht statt / Jobben im Studentenstatus contra „ABM–Karriere“

Von Thomas Werres

Begeistert wirkt die ansonsten freundliche Dame vom Arbeitsamt gerade nicht, als ich ihr meine stinknormale Lage schildere. „Viel kann ich leider nicht für Sie tun“, lautet die alles entscheidende Auskunft. Gute Ratschläge für arbeitssuchende AkademikerInnen sind eben rar. „Nie fühlte ich mich so allein gelassen wie nach Abschluß meines Studiums“, bestätigt mir Ex– Kommilitone Peter den Ernst der Lage. Er ist seit seinem Studienabschluß vor drei Jahren arbeitsloser Diplom–Politologe. Eine Berufsberatung für Akademiker findet faktisch nicht statt: Arbeitsamt und Professoren sind mit dieser Aufgabe völlig überfordert. JungakademikerInnen werden heute ausgefallene Überlebensstrategien abverlangt. Eine vielgenutzte Variante lebt Peter: Er ist im 20.Semester eingeschrieben und wälzt jede Woche drei Seiten Stellenanzeigen in der ZEIT. Ansonsten kutschiert er zahlungswillige Fahrgäste durch das nächtliche Berlin. Petra, ebenfalls arbeitslose Akademikerin, kann dagegen dieser Perspektive wenig abgewinnen. „Wenn man an der Uni nach Studienabschluß kleben bleibt, so bedeutet das den Anfang vom Ende.“ Petra kennt das Berufsleben: Sie war vor ihrem Studium Zahnarzthelferin. Um sich einen Schubs zu geben, hat sie gleich nach ihrem Examen die Uni verlassen und sich arbeitslos gemeldet. Zwischen Peters und Petras Modellen spielt sich heute das Leben vieler arbeitssuchender akademischer Existenzen ab. Die Wahl bleibt umstritten. Gute Ne benverdienstmöglichkeiten im Studentenstatus werden gegen den eventuellen Genuß einer ABM–Stelle und Umschulungsaussichten in die Waagschale geworfen. Abteilungsleiter Klose vom Immatrikulationsbüro der Freien Universität Berlin schätzt, daß gegenwärtig zwischen 20 und 25 Prozent der an der FU eingeschriebenen StudentInnen die Uni nutzen, um ihre Existenz weiter zu sichern. Sie beginnen nach ihrem Abschluß ein Zweitstudium oder schreiben sich zur Promotion ein. Nach einer im Auftrag des Bundesbildungsministeriums erstellten Studie warten jedoch „nur“ 10 Prozent der bundesdeutschen StudentInnen im Grunde auf einen Arbeitsplatz. Ob nun 10 oder 20 Prozent von 1,4 Millionen Immatrikulierten: In jedem Fall bleibt das Ausmaß der so verschleierten Arbeitslosigkeit enorm. Die Zahl der offiziell bei den Arbeitsämtern registrierten stellensuchenden AkademikerInnen (bundesweit 114.300) reicht da bei weitem nicht ran. Peter macht für seine Wahl, an Alma Maters Rockzipfeln zu bleiben, vor allem wirtschaftliche Gründe geltend: StudentInnen haben keine Abzüge. „Als studentischer Taxifahrer bekomme ich hier in Berlin 50 Prozent des Um satzes. Für die Krankenkasse zahle ich monatlich 65 Mark. Wäre ich arbeitslos gemeldet, würde sich der Beitrag auf 103 Mark erhöhen. Wollte ich gar weiter Taxe fahren, käme ich wegen der Abzüge nur noch auf 35 Prozent Umsatzbeteiligung.“ Sein Fazit: „Ohne eine vernünftige Stellung kann ich es mir finanziell nicht leisten, die Uni zu verlassen.“ Die Arbeitsämter haben außer Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und eventuell der Umschulung zum Computerexperten lediglich düstere Arbeitsmarktperspektiven anzubieten. Die offizielle Quote der Akademikerarbeitslo sigkeit fällt dabei mit fünf Prozent vergleichsweise gering aus. Doch der Absolventenberg erreicht erst in den neunziger Jahren seinen Gipfelpunkt. Bis zur Jahrtausendwende werden sich drei Millionen HochschulabsolventInnen auf eine Million frei werdende Stellen stürzen. Oft verbinden arbeitslose StudentInnen mit ihrem Ausharren an der Uni gar nicht mehr die Hoffnung auf eine akademische Beru So vergehen die Jahre. Mit ihnen wächst die Angst, beim Taxifahren oder in der Gastronomie hängenzubleiben. „Nach ungefähr drei Jahren fängst du dann an, dir zu überlegen, gänzlich umzusatteln und dir eine eigene Taxe zu kaufen“, berichtet Peter. „Die Uni ist einfach für viele ein schützender Sumpf“, erklärt der Berliner Politologe Peter Grottian, der sich seit Jahren mit dem sogenannten „grauen Arbeitsmarkt“ und dem Verbleib von Hochschulabsolventen beschäftigt. „Zwar wächst mit jedem weiteren Semester nach Studienabschluß die Gefahr, darin umzukommen, aber die Angst vor dem Sprung ins kalte Wasser ist für viele dennoch sehr groß.“ Grottian zufolge wird dabei unterschätzt, welche Möglichkeiten der Markt der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) bietet. Immerhin: Sich für den kleinen und mühevollen Weg einer „ABM–Karriere“ zu entscheiden, heißt sich der Arbeitsmarktrealität stellen. Der Vorteil: Berufserfahrung zählt oft mehr als andere Zusatzqualifikationen. Zwar bedeuten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in der Praxis Abbau von Planstellen im öffentlichen Dienst und miese Arbeitsbedingungen, doch dafür können die Betroffenen selbst aktiv werden, indem sie einen freien Träger wie Kirche oder Wohlfahrtsverband oder ein Selbsthilfeprojekt dazu bewegen, eine ABM–Stelle zu beantragen. Ein solcher Antrag ist in einer Viertelstunde formuliert. Die Übernahmeaussichten sind zwar schlecht, doch dafür lockt nach Auslaufen der einjährigen Maßnahme Arbeitslosengeld. Allerdings sollte jeder Absolvent, der eine ABM–Karriere in Betracht zieht, wissen, daß „Arbeitssuchende“ nicht, „Arbeitslose“ aber sehr wohl ABM–berechtigt sind. Exmatrikuliert sich ein examinierter Student, ohne vor seinem Studium sozialversicherungspflichtig gearbeitet zu haben, wird er vom Arbeitsamt lediglich als „arbeitssuchend“ geführt. Für sie gilt: Als „arbeitslos“ kategorisiert werden auch solche Menschen, die zur Promotion an der Uni eingeschrieben sind. Der Haken dabei: Zur Promotion eingeschriebene Jobber sind sozialversicherungspflichtig. Studi–Job und ABM–Berechtigung lassen sich legal nicht verbinden. Sowohl der immatrikulierte Peter als auch die arbeitslose Petra überbrücken nur die Zeit. Vor allem in sozial– und geisteswissenschaftlichen Berufen läßt sich die akademische Ausbildung oft nicht verwerten. Peter und Petra müssen irgendwann eine Entscheidung über ihre Zukunft treffen: Voll einsteigen oder ganz aussteigen.