piwik no script img

I N T E R V I E W „Bei jedem Flug in Alarmstimmung“

■ Als Pilot der Luftwaffe war XXX Navigator in der „Phantom“ / Er hat vor Jahren seinen Dienst quittiert

taz: Innerhalb von zwei Tagen sind in Süddeutschland zwei Militär–Düsenjäger abgestürzt. Ist das ein statistischer Zufall? XXX: Ich vermute, daß es ein Zufall war, weil es immer Abstürze gegeben hat. Das Bundesverteidigungsministerium sagt jetzt, daß Kampfflieger immer noch in der Lage wären, ihre Maschinen bei einem Absturz vorbei an gefährlichen Objekten wie AKWs auf einen sicheren Platz zu manövrieren. Geht das? Je nach Fehlerlage in der Maschine gibt es Situationen, wo man die Maschine über ein Dorf hinweg retten kann. Aber das geht nicht immer. Wenn z.B. beim Tiefflug in 150 Meter Höhe irgend etwas auftritt, dann hat man weniger als eine Sekunde Zeit und man schlägt schon auf. Im Cockpit muß man alle ein bis zwei Sekunden eine Entscheidung treffen, man beobachtet den Himmel, die Erde, die Navigation - alles im Wechsel. Wenn man draußen ist mit den Augen und sieht andere Maschinen, einen Vogelschwarm oder ein Wetter, dann muß man denen ausweichen und kann im gleichen Augenblick nicht mit den Augen innen sein. Das geht im Sekundenrhythmus: Augen drinnen, Augen draußen, und wenn dann ein Fehler auftritt, kommt es darauf an, in Sekunden die richtige Entscheidung zu treffen. Man muß immer in Gedanken voraus sein, darf nie da sein, wo die Maschine gerade ist. Aber es passiert ständig, daß einem etwas quer kommt: Vogelschwärme, Wolken, eine andere Maschine. Da muß ich sofort reagieren und gleichzeitig noch ein Auge haben für die Navigation und für die Hydraulik in der Maschine. Das ist eine extrem hohe physische und psychische Mehrfachbelastung. Wie lange dauert diese Belastung? Wie lange geht so ein Flug? In der Regel anderthalb Stunden, plus–minus. Die Routen sind vorher nicht festgelegt. Die plant man vor dem Flug - jedenfalls beim Tiefflug am Tag selbst. An diese vorgeplante Flugroute kann man sich zwar halten, aber nur in bestimmtem Rahmen. Man ist in dieser dichtbesiedelten Bundesrepublik, im dichtbeflogenen Flugraum ständig dem Alarm ausgesetzt. Vor und während des Fluges rechnet man ständig damit, daß etwas passiert. Gibt es bestimmte Routen? Man ist nur verpflichtet, die Vorgaben des Gesetzgebers zu beachten, nicht über Dörfer, nicht über Städte und z.B. nicht über Kernkraftwerke zu fliegen, sondern einen entsprechenden Sicherheitsabstand einzuhalten. Das passiert in der Praxis aber nicht. Doch, das passiert auch. Man ist nicht so bekloppt und fliegt direkt rüber. Aber die Entfernung ist mit 500 Metern sehr gering, das ist eine kleine Handbewegung für den Piloten. Und wenn man 500 Meter vorbeifliegt und es passiert irgend etwas, dann weiß man nicht, wo die Maschine aufschlägt. Wenn man den Schleudersitz betätigt, weiß man nicht, wo die Maschine hinmarschiert. Anwohner in Ohu berichten, die Kampfflieger hätten die Dämpfe des AKW richtiggehend als Anflugziel genommen zu Übungszwecken. Zu Übungszwecken glaube ich nicht. Aber man bewegt sich schon auf alles zu, was man im Gelände als markanten Punkt entdeckt, ob es ein See ist, eine Brücke, eine große Industrieanlage oder auch ein Kernkraftwerk. So etwas nutzt man zur Navigation, indem man das im Radar ertastet. Solche Anlagen sind gute Reflektionspunkte und insofern kann natürlich der Eindruck entstehen, daß AKWs Zielpunkte sind. Aber es wird keiner so bekloppt sein, direkt daraufzuzufliegen. Dazu hängen die Leute selbst viel zu sehr am Leben. Gibt es auch so etwas wie sportlichen Ehrgeiz unter den Piloten, so nah wie möglich an ein solches Hindernis heranzufliegen? Den sportlichen Ehrgeiz gibt es sicherlich. Der wird auch von den Vorgesetzten, vom Ministerium gewünscht. Es werden immer wieder Wettbewerbe gemacht für Genauigkeitsflüge. Aber so nah wie möglich an einem Hindernis vorbeizufliegen wäre sicher Kamikaze, das macht man nicht. Aber es werden z.B. Formationsflüge geübt, wo bei hoher Geschwindigkeit nur 30 bis 40 Zentimeter zwischen den einzelnen Maschinen liegen. Das ist hohe Präzisionsarbeit, da kommt man hinterher völlig naßgeschwitzt wieder raus. Eine minimale Handbewegung reicht da aus, daß es zu einem Zusammenstoß kommt. Man fliegt den Knüppel dann wie ein rohes Ei. Und da passieren auch immer wieder Unfälle. Interview: Vera Gaserow

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen