Soziales aus der schwarzen Kasse

■ NRW–Rechnungshof deckt Schwindel bei der Finanzierung von Beratungsstellen auf

Aus Düsseldorf J.Nitschmann

An Rhein und Ruhr haben Sozialarbeiter aller Lager offenbar aus der Not bare Tugend geschlagen und sich ein ganz neues Legalitätsverständnis zu eigen gemacht. Einen millionenschweren Betrugsskandal mit staatlichen Geldern hat in Nordrhein–Westfalen der Landesrechnungshof (LRH) bei zahlreichen kirchlichen und freien Trägern von Familien– und Schwangerschaftsberatungsstellen aufgedeckt. In einem 167seitigen Prüfbericht an das nordrhein– westfälische Gesundheits– und Sozialministerium, der der taz vorliegt, kommen die obersten RechnungsprüferInnen des Landes zu dem Ergebnis, daß die Wohlfahrtsverbände in den letzten acht bis zehn Jahren „in betrügerischer Absicht“ Landesgelder in erheblichem Umfang erschlichen haben. Dabei geht es vor allem um konfessionelle Organisationen. Fortsetzung Seite 2 Kommentar Seite 4 Außer auf Träger wie Caritas und Diakonisches Werk zielt der LRH aber auch auf die Arbeiterwohlfahrt (AWO) und Beratungsstellen von Pro Familia. Der LRH stellte insbesondere bei den kirchlichen Institutionen „grobe Verstöße“ gegen die einschlägigen Förderrichtlinien fest: Zahlreichen MitarbeiterInnen in den Beratungsstellen fehle der notwendige Qualifikationsnachweis. Insgesamt werden Verstöße in 47 verschiedenen Stellen in dem Bericht aufgeführt, davon rund die Hälfte bei kirchlichen Trägern. Nach den Festellungen des nordrhein–westfälischen Landesrechnungshofs rechneten zahlreiche Träger der Familien– und Schwangerschaftsberatungsstel len ihr Personal doppelt ab oder reichten „unter Vorspiegelung falscher Tatsachen“ gefälschte Belege über angeblich angefallene Personal–, Sach– und Mietkosten ein. Ferner fanden die Landesrechnungsprüfer bei ihrer Untersuchung heraus, daß einige Schwangerschaftsberatungsstellen „in gravierender Weise“ gegen die gesetzlichen Bestimmungen verstießen, weil dort bei den Beratungsgesprächen kein Arzt hinzugezogen werde. Unterdessen hat der in dem Bericht des Landesrechnungshofes wegen seiner ungenügenden Aufsicht heftige kritisierte nordrhein– westfälische Gesundheits– und Sozialminister Hermann Heinemann (SPD) eine „schonungslose Aufklärung“ der vom LRH aufgedeckten Betrugsfälle und Unregelmäßigkeiten angekündigt. Als Konsequenz aus dem LRH–Bericht will Heinemann das Förderungsverfahren künftig zentralisieren, um so eine Doppelförderung über die Regierungspräsidenten und Landschaftsverbände zu verhindern. Zugleich wies Heinemann in einer Erklärung vom Montag aber darauf hin, daß bei den beanstandeten Rechtswidrigkeiten in keinem Falle persönliche Bereicherung oder Veruntreuung vorliege. Die Düsseldorfer CDU–Opposition sprach von „einem der vermutlich größten Subventionsschwindel in der Geschichte des Landes Nordrhein–Westfalen“. Der nordrhein–westfälische CDU–Generalsekretär Helmut Linssen erklärte, der „Notstand“ im nordrhein–westfälischen Beratungswesen beweise, wie dringend notwendig die Verabschiedung der von Bundesfamilienministerin Rita Süssmuth (CDU) vorgelegten Beratungsgesetze sei. Der Landesrechnungshof führt die „groben Verstöße“ der Träger von Familien– und Schwangerschaftsberatungsstellen im Umgang mit staatlichen Geldern auf die „teilweise völlig unzureichende und oberflächliche Prüfung“ der Anträge und Verwendungsnachweise durch die ver schiedenen Bewilligungsbehörden zurück: „Bei einer derartigen Fülle von organisatorischen und fachlichen Mängeln ist den vielen Zuwendungsempfängern die mißbräuchliche Ausnutzung von Unzulänglichkeiten gerade erleichtert worden, da sie durch falsche oder fehlerhafte Angaben in den Genuß von Fördermitteln des Landes kommen konnten“, heißt es in dem LRH–Bericht. Zudem dränge sich bei einigen Bewilligungsbehörden, wie etwa dem Landschaftsverband Westfalen– Lippe, der Verdacht auf, daß er beispielsweise bei der Förderung des Dortmunder „Sozialdienstes Katholischer Frauen“ „bewußt alle Umstände unbeachtet gelassen hat, die einer Landesförderung entgegenstehen“. Im einzelnen stellte der Landesrechnungshof folgende Betrugsvarianten fest: - Das Diakonische Werk in Minden machte die vollen Personalkosten seiner (Ehe–)Beratungsstelle beim Land geltend, obwohl sämtliche MitarbeiterInnen bei verschiedenen Kirchenkreisen fest angestellt waren und überwiegend andere Aufgaben erledigten. - Verschiedene kirchliche Träger stellten dem Land für ihre Beratungsstellen hohe Arztkosten in Rechnung, obwohl bei ihnen schon seit Jahren keine Mediziner mehr tätig waren. - Die „Gesellschaft für paritätische Sozialarbeit“ in Dortmund setzte auf ihrer Sachkostenliste Ausgaben für Verhütungsmittel ab, zugleich verschwieg sie gegenüber den Behörden jedoch die Erlöse aus dem Verkauf dieser Verhütungsmittel. - Der Kirchenkreis Hagen setzte für eine Beraterin eine Bruttovergütung von 62.000 Mark ein. Tatsächlich stand die Beraterin während dieser Zeit überwiegend unter Mutterschutz und verursachte für den Träger somit keine Kosten. - Einige Caritas– und Diakonie–Verbände stopften mit den staatlichen Geldern für ihre Beratungsstellen die Löcher in ihren Kassen für die Ferienfahrten– und Schulaufgabenbetreuung.