Italiens Antisemitismus kommt und geht

■ Die Anti–Kampagnen in Italien haben ad–hoc–Charakter / Parolen gegen die Juden stehen neben jenen gegen „die Araber“ / Politische Differenzierungen finden sich allerdings kaum / Parolen bleiben eben Parolen

Aus Rom Werner Raith

Martino Cobler gehört zu den Polyglotten im Lande: neben Italienisch, Deutsch, Englisch und Französisch ist ihm auch Arabisch, Hebräisch und Persisch geläufig, und so ist er ein gesuchter Mann. Nicht nur als Buchübersetzer und Dolmetscher - einen Gutteil seiner Zeit verbringt Martino damit, „für Gott und die Welt authentische Parolen zu erfinden“. Derzeit haben solche in arabischer und hebräischer Sprache und Schrift Hochkonjunktur. Seit Israels Shamir da war und sich die Nachrichten über Gewalttaten israelischer Militärs überstürzen, wollen Italiens Spruchsprayer und Flugblattverfasser nicht nur im heimischen Wort, sondern auch dem der Gescholtenen verkünden, was sie von alledem halten. Und da ist Martino eben der rechte Mann: „Man muß ja nicht nur inhaltlich stimmige Sprüche finden, sondern vor allem solche, die sich die Leute merken und ohne große Fehler malen können.“ Und so füllt sich mittlerweile Roms Innenstadt wie in den Vororten die Mauerlandschaft mit allerlei exotischem Gekringel. Wobei es wenig ausmacht, daß man da oft gerade neben die noch gut lesbaren Anti–Araberparolen nach dem Attentat auf den Flughafen Fiumicino 1985 nun - so versichern Sprachkundige - nahezu dasselbe Verdikt, nur eben gegen Israel, sprüht: „Werft die Juden raus ins Meer“, prangt am EUR– Center neben „Araber - das beste Fischfutter“; wer genau hinsieht, kann auch noch alte Sprüche gegen den Schah von Persien neben neuen, ziemlich ähnlich aussehenden finden - diesmal gegen Khomeini. Italiens Anti–Kampagnen haben stets ad–hoc–Charakter - wer sich gerade schlecht benimmt, findet sich schnell an der Wand. Das gilt für „häßliche Deutsche“ ebenso wie für „imperialistische Amis“ oder „arrogante Franzosen“. Daß der Antisemitismus, der nun zu beobachten ist, sich doch irgendwie von den anderen Ressentiments unterscheidet, dämmert zumindest langsam einigen Soziologen, Politologen und auch schon manchem Politiker: „Von der Kritik an einer Regierung wie der Shamirs zu reinem Rassismus“, sagt Lorenzo Cremonesi, bis vor kurzem Redakteur des Informationsblatts israelitischer Gemeinden und inzwischen Shamir–Gegner, „ist gegenüber Juden immer nur ein sehr, sehr kleiner Schritt.“ Deutliches Indiz dafür ist zweifellos auch, daß die in Italien besonders zahlreichen jüdischen Kritiker der Araberpolitik Israels kaum wahrgenommen werden - man zitiert sie, wenn schon, dann nicht als Faktor politischer Auseinandersetzung, sondern allenfalls als Alibi für eigene Schelte gegen „die Juden“. Die Chance, Shamirs Politik gerade durch Unterstützung des jüdischen Dissenses unglaubwürdig zu machen, schwindet so immer mehr. Ältere italienische Juden sehen die Sache heute viel gelassener als ihre Söhne. „Die Kehrseite des schnell aufkeimenden Antisemitismus“, sagt der Oberrabbiner Elio Toaff, „besteht in Italien darin, daß er auch schnell wieder schwindet, und die Juden, sobald sie selbst in die Position des Opfers oder des Schwächeren geraten, gerade hier schnell auch wieder große Unterstützung finden.“ Daran ist wirklich kein Zweifel. Die projüdischen Parolen um den Vatikan herum zeugen davon - sie stammen vom Vorjahr, als sich herausstellte, daß der Papst trotz seines Synagogenbesuchs sich weiterhin um die Anerkennung eines Existenzrechtes für Israel herumdrückte - ebenso wie um die Abkehr vom katholischen Vorwurf des „Christusmordes“ gegenüber den Juden.