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K O M M E N T A R Kein Unglücksfall

■ taz–Recherchen zu Startbahn–Schüssen sind kein Alibi

Als vor einem halben Jahr an der Startbahn West ein bis heute Unbekannter zwei Magazine mit scharfer Munition in Richtung Polizei verschoß und dabei zwei Beamte tödlich traf, da war von einer neuen Qualität der Auseinandersetzung die Rede. Zum ersten Mal in der Geschichte der außerparlamentarischen Opposition der Nachkiegszeit waren es die Demonstranten, aus deren Reihen scharf geschossen wurde und zum ersten Mal hatte einer von ihnen dabei getötet. Tatsächlich waren diese Schüsse ein Einschnitt in der politischen Kultur der linken Protestbewegung und sie werden es weiterhin bleiben, auch wenn jetzt zahlreiche Fakten belegen, daß sie nicht zielgerichtet auf das Gegenüber abgegeben wurden. Keine Frage: es gibt es einen gravierenden politischen und moralischen Unterschied zwischen kaltblütig geplantem Mord und dummer Fahrlässigkeit, zwischen Tötungsabsicht und großspuriger kriegsheischender Ballerei. Und das weiß niemand so gut wie die Bundesanwaltschaft, der schon seit Monaten bekannt sein mußte, was die taz jetzt nach mühseligen Recherchen herausfand. Schon unmittelbar nach der Tat mußte den Ermittlern anhand der Faktenlage am Tatort klar gewesen sein, daß der Polizisten“mord“ kein Mord war, daß der Schütze zwar die Schuld trägt am Tod der beiden Beamten, aber diesen Tod nicht gezielt herbeigeführt haben konnte. Monatelang haben die Bundesanwaltschaft und das Innenministerium alles dafür getan, diese Erkenntnisse unter Verschluß zu halten, denn mit den Polizisten“morden“ ließ sich Politik machen - Politik für schärfere Sicherheitsgesetze und gegen eine linke Szene, die man unter dem Mordvorwurf hemmungslos durchsuchen und einschüchtern konnte. Für diese linke Szene wäre es jedoch fatal, wenn sie nach den jetzigen Ermittlungserkenntnissen in erleichtertes Schweigen versinken würde. Natürlich klingt das Wort „Dummheit“ weniger schlimm als „Kaltblütigkeit“ und sicher ist ein Unglücksfall allemal entschuldbarer als ein Mord. Nur, die Frankfurter Schüsse waren offenbar genausowenig ein Unglücksfall, wie sie ein Mord waren. Sie waren zwar allen Erkenntnissen nach nicht geplant, aber längst kein dummer Zufall. Jeder, der mit einer Waffe umgeht, muß wissen, daß er damit töten oder zumindest schwer verletzen kann. Und wer ehrlich ist, wird zugeben, daß das überhaupt der Grund ist, warum er sie besitzt. Wer eine Waffe trägt, tut das, um sie zu benutzen, egal ob er Bundeswehrsoldat, Waffennarr oder Demonstrant heißt. Wer auch immer der Schütze von der Startbahn war: Er hat sich von der Waffe etwas versprochen, und sei es nur dieses „geile“ Gefühl von männlicher Stärke, in der Mann zum Herrn über Leben wird. Vielleicht hatte der Schütze die Waffe gar nicht mitgenommen, um sie an der Startbahn einzusetzen, aber er hatte einkalkuliert, sie irgendwann zu benutzen und Ersatzmagazine besorgt. Das Nachdenken über die tödlichen Schüsse von Frankfurt darf daher nicht mit der Frage Mord ja oder nein aufhören. Es müßte dahin zurückgehen, wo jemand innerhalb der Linken glaubt, eine geklaute Polizeipistole nicht gleich in den nächsten Fluß versenken zu müssen, sondern sie behält und schon einmal seinen Krieg übt - sozusagen „für alle Fälle“. Diese „Fälle“ aber sind dann keine Unglücksfälle. Vera Gaserow

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