Neutronenbombe in Frankreichs Wahlkampf

■ Präsidentschaftskandidat Raymond Barre verspricht im Falle seiner Wahl den Bau einer französischen Neutronenbombe / Auch Chirac ist der Bombe nicht abgeneigt / Mitterrand hält sich wie üblich bedeckt / Paris kann den Bau der Bombe jederzeit beginnen

Aus Paris Georg Blume

Meldungen über den französischen Präsidentschaftswahlkampf fielen bisher schwer. Zu abgedroschen die Themen, zu vage die Versprechen aller Kandidaten. Ganz offensichtlich wollte Raymond Barre, Präsidentschaftsanwärter der rechts liberalen Regierungspartei UDF, diesem Zustand sich verbreitender Langeweile im Wahlkampf ein Ende setzen. Er tat dies prompt, indem er sich in einem am Montag veröffentlichten Interview mit der französischen Nachrichtenagentur AFP für den sofortigen Bau der französischen Neutronenbombe aussprach. „Ich werde Frankreich mit der Neutronenbombe ausstatten“, sagte der Kandidat, dem die Umfragen kaum mehr Chancen einräumen, und gab damit ein unzweifelhaftes Versprechen. Barres Aussage kann nur insofern überraschen, als französische Politiker seit den Erklärungen von Charles Hernu und Pierre Messmer gegenüber der taz im vergangenen Sommer das Thema Neutronenbombe sorgfältig vermieden haben. Dennoch konnten keine Zweifel bestehen, daß die Frage der Neutronenbombe für französische Politiker von rechts bis links offen blieb. Erst im März hatte sich der zweite Präsidentschaftskandidat der französischen Rechten, Pre mierminister Jacques Chirac, dem Bau der Neutronenbombe „nicht abgeneigt“ erklärt, jedoch gleichzeitig betont, daß es dem zukünftigen Präsidenten überlassen sei, nach einer „Reflexionsphase“ darüber zu entscheiden. In der Tat obliegt es nach der Verfassung der fünften Republik dem Präsidenten als Oberbefehlshaber der Armee und nicht der Regierung, eine solche Entscheidung zu treffen. Insofern richten sich alle Blicke auf Francois Mitterrand. Nach wie vor hält der amtierende Präsident seine Auffassung über die Neutronenbombe streng geheim. Nachdem Le Monde vergangenen Herbst berichtete, er stehe einer Bombenproduktion positiv gegenüber, relativierte Mitterrands Sprecherin Gendreau–Massaloux vor kurzem gegenüber der taz die damaligen Meldungen. Man hätte Mitterrands Aussagen übersteigert interpretiert. Tatsächlich deutet eine Passage in Mitterrands unlängst veröffentlichtem Brief „an alle Franzosen“ darauf hin, daß der Präsident von der Produktionsoption auf die Neutronenbombe Abstand genommen hat. Mitterrand warnt, die taktischen Atomwaffen, zu denen die Neutronenbombe zählt, als „banale Ergänzung zur Artillerie“ zu betrachten, und spricht sich gegen den Gebrauch von Atomwaffen auf dem „Gefechtsfeld“ aus. Dieser Aussage kommt vor allem deshalb Bedeutung zu, da Mitterrand zuvor die Neutronenbombe als „Gefechtsfeldwaffe“ bezeichnete. Seit 1983 ist Frankreich laut Mitterrand in der Lage, die Neutronenbombe serienmäßig herzustellen. Über die Art ihres möglichen Einsatzes sind sich die französischen Verteidigungsexperten noch uneins. Sie ist sowohl als Gefechtsfeldwaffe für die Panzerabwehr als auch als Sprengkopf für die neue französische Kurzstreckenrakete „Hades“ im Gespräch. In beiden Fällen würde ihr Einsatz nach allgemeiner Expertenansicht nur bei einer Stationierung der Waffe in der Bundesrepublik militärisch Sinn machen.