Die Schiiten im Nahen Osten

■ Die soziale Basis der Entführer sind die schiitischen Hizbollah im südlichen Libanon

Welcher klandestinen Gruppe auch immer die Entführer des kuwaitischen Flugzeugs angehören mögen - der „Islamische Heilige Krieg“, die „Hizbollah“ und die „Organisation Islamische Aktion“ sind im Angebot der Spekulationen - ihre Aktion markiert die derzeit radikalste Position im Konfliktgewirr des Nahen Ostens. In der Ideologie dieser Gruppen steht in letzter Ableitung immer der US–Imperialismus als Hauptfeind im Hintergrund, abgelöst nur durch dessen Verbündete Israel, Ägypten, die EG–Staaten und die arabischen Ölländer. Doch auch wenn die Staffelung der Feindbilder die gleiche sein mag, die Drahtzieher müssen nicht notwendig in Teheran sitzen. Schon der kürzlich bekannt gewordene Deal zwischen Iran und Frankreich, Geisel gegen Waffen tauschen zu wollen, läßt erkennen, daß Teheran seinen Einfluß bei den Schiiten des Libanon teurer verkaufen will als für ein paar in Kuwait einsitzende Extremisten. Innenpolitisch hatten die Attentäter von 1983 mit ihrem Angriff auf ausländische Botschaften in Kuwait nichts bewegt. Trotzdem ist für die herrschende Familie die schiitische Minderheit im Lande immerhin eine potentielle Quelle von Opposition und verlangt deshalb eine taktische Rücksichtnahme in der Frage der Behandlung schiitischer Glaubenskämpfer. Auch im Irak, in Bahrain, den Arabischen Emiraten und in Saudi Arabien leben entweder schon traditionell oder durch Arbeitswanderung zugezogene Schiiten, deren zumeist unterprivilegierter Status ein Motiv für Sympathien mit den radikalen Brüdern im Glauben abgeben könnte. Eine soziale Basis mit einem eigenständigen politischen Gewicht haben Gruppen wie die Hizbollah jedoch allenfalls im Libanon. Eines der Hauptresultate des libanesischen Bürgerkriegs war schließlich die „Emanzipation“ der Schiiten des Südlibanon von sozialer Unterwerfung und politischer Bedeutungslosigkeit. In den noch andauernden Kämpfen um wichtige strategische Positionen im Libanon war es den Syrern gerade vor einigen Monaten gelungen, der Hizbollah die Kontrolle über den Flughafen Beirut zu entringen. Doch der Einfluß der Hizbollah unter den armen Schiiten Beiruts steigt auf Kosten der mit Damaskus verbündeten, ebenfalls schiitischen, Amal–Bewegung. Eben darauf spekulierten die Entführer, als sie trotz des syrischen Widerstands in Beirut landen wollten. Im Lagerkrieg zwischen PLO und Amal waren die Hizbollahis den Palästinensern zur Seite gesprungen. Darum kann die PLO, für die sonst niemand vermitteln mag, jetzt als Vermittlerin dastehen zwischen den Entführern und den Ölscheichs. Die Mittlerfunktion der Palästinenser entbehrt wiederum nicht einer symbolischen Bedeutung: In ihrem Schicksal verknüpfen sich alle Konfliktebenen des Nahen Ostens, die sich, wie im Fall der Flugzeugentführung, auf grausame Weise gegenseitig blockieren können. Thomas Reuter