Dem Grünen, Wahren, Schönen

■ Eine Kulturdebatte der Grünen Bundestagsfraktion mit Gästen: Kann die Auseinandersetzung mit NS–Kunst zu einem grünen Kulturbegriff führen? / „Umgang mit Ästhetik im Faschismus extrem unsicher“

Aus Bonn Oliver Tolmein

„Unser Umgang mit dem Phänomen Ästhetik im Faschismus ist in politischer wie in ästhetischer Hinsicht extrem unsicher.“ Dieser auf der Einladung zur Kulturdebatte der grünen Bundestagsfraktion für den Dienstag dieser Woche nachzulesenden Befund hatte auch nach drei Stunden Diskussion der Abgeordneten mit geladenen Gästen noch Gültigkeit. Anlaß für den Versuch, ein kulturpolitisches Profil herauszuarbeiten, war der Entwurf einer von Antje Vollmer erarbeiteten großen Anfrage an die Bundesregierung über „den Umgang mit der „entarteten“ und der „schönen“ Kunst. Der Ausgangspunkt der Anfrage liegt in derErkenntnis, daß „wir dem ästhetischen Ideal des Nationalsozialismus einen eigenen Kunstbegriff entgegensetzen müssen, der gleichzeitig auch Grundlage für die überfällige Grüne Kulturdebatte ist“. Daß dieser Ansatz sinnvoll ist wurde in der teilweise sehr heftig geführten Debatte von etlichen RednerInnen bestritten. Udo Knapp beispielsweise rieb sich an dem Widerspruch, daß einerseits „absolute Kunstfreiheit“ gefordert wird, andererseits aber ein „grüner Kunstbegriff“ erarbeitet werden soll. Gerade der Blick auf die nationalsozialistische Kunstpolitik zeige doch, daß Politiker sich aus ästhetischen Debatten herauszuhalten hätten. Knapp weiter: Von der Großen Anfrage bliebe nur hängen, daß auch die Grünen für die Ausstellung von NS–Kunst in Museen seien. Das empfinde er aber als problematische Position. Auch Georg Meistermann, im 3. Reich als „entartet“ verfolgter Maler, warnte die Grünen davor, die Anfrage einzubringen: Die NS–Kunst, würde sie wieder ausgestellt, würde sie auf begeisterte Resonanz stoßen; er könne sich deren kritische Rezeption in der Bundesrepublik nicht vorstellen. Der Wiener Maler und Grafiker Gottfried Helnwein trat dagegen vehement gegen jede Form von Reglementierung ein. Die während des Faschismus entstandenen Gemälde, so seine Forderung, müßten unbedingt ans Tageslicht gebracht und ausgestellt werden - ihre „Lächerlichkeit und Dummheit“ könnte nur dort offensichtlich werden. Wichtiger schien Helnwein aber sein Plädoyer für eine künstlerische Verarbeitung der NS– Zeit durch MalerInnen mit ihren ureigenen Mitteln. An diesem Punkt entwickelte sich eine scharfe Kontroverse mit dem Kunsthistoriker Werner Alberg, der Helnwein vorwarf, sein „Selbstbildnis mit Hitler“ kokettiere mit der Verfolgung von Künstlern im Nationalsozialismus, statt sie adäquat zu erfassen. Auch wenn Anselm Kiefer sich auf großen Plätzen in Europa beim Erweisen des Hitler–Grußes ablichten lasse, zeige das, wie Künstler heute der Ästhetik des Faschismus erliegen. In dieser Attacke glaubte Helnwein seinerseits den Geist der Reichskulturkammer zu spüren, der Künstlern vorschreiben wolle, was sie wie darzustellen hätten und was nicht. Während in dieser Kontroverse noch Ansätze für eine weiterführende Debatte steckten, zeigten die meisten Beiträge von Fraktionsmitgliedern nur, wie fremd ihnen das Thema war. Trude Unruh räsonnierte darüber, daß Künstler doch nur Geld verdienen wollten und Helnwein sich wie ein Autonomer kostümiert habe; Christa Nickels versuchte den Erfolg der offiziellen Kunst im Faschismus mit damit zu erklären, daß die Medaille, die eine „schlechte, zerstörerische Seite“ habe, auch eine „gute, die menschlichen Bedürfnisse anrührende“ hätte; und Helmut Lippelt landete nach einem kurzen Anlauf über Arno Breker bei der Pop– Gruppe „Dschingis Kahn“, deren Musik ihm auch als „reinster Faschismus“ erscheint. Der Text der großen Anfrage, deren erster Satz lautet: „Stimmt die Bundesregierung der These zu, daß es eine ästhetische Unsicherheit im Umgang mit NS–Kunst gibt?“ - wird noch überarbeitet. Wahrscheinlich soll sie dann in vier Wochen im Bundestag eingebracht werden.