Töpfers tiefer Schnitt - daneben

■ Bundesumweltminister Töpfers Entflechtung der Hanauer Atombetriebe bleibt ein Papiertiger

Die Operation Hanau ist so gut wie abgeschlossen. Die Entflechtung der Skandalbetriebe hat nur einen Gewinner: Klaus Töpfer, der sich im Zuge der Affäre profilieren konnte. Doch sein tiefer Schnitt in die Eiterbeule der Atomindustrie blieb aus.

„Wir müssen tief schneiden“, drohte Bundesreaktorminister Töpfer, als die Nukem/Transnuklear–Affäre Ende Januar gerade ihren Höhepunkt erreicht hatte. Die Ankündigung blieb nicht ohne Wirkung. Noch unter dem Eindruck der von Ministerpräsident Wallmann ausgelösten „Bomben– Stimmung“ und der Schließung der beiden Hanauer Unternehmen Nukem und Transnuklear machte sich in den Chefetagen der Skandalbranche die Befürchtung breit, ausgerechnet ihre verläßlichsten politischen Helfershelfer könnten die „strukturelle Kumpanei von Staat und Atomwirtschaft“ (Klaus Traube) ernsthaft aufkündigen. Ende April nun will Töpfer die angekündigte Operation durchführen - mit dem vollem Einverständnis des Patienten. Unter dem Stichwort „Entflechtung“ verkündet Töpfer die Neuordnung des selbst für Insider kaum noch durchschaubaren Molochs Atomindustrie. Die Bereiche Transport, Versorgung und Entsorgung sollen sauber voneinander getrennt, der Einfluß der Stromkonzerne zurückgedrängt und durch die jeweilige Monopolisierung bei einer einzigen oder maximal zwei Firmen eine „eindeutige Zuordnung wirtschaftlicher Verantwortung“ geschaffen werden. Dazu will der Minister zunächst die Transportbereiche des Skandalunternehmens Transnuklear (TN), der Essener Gesellschaft für Nuklearservice (GNS) und die ebenfalls im Hanauer Sumpf ange siedelte Nukleare Transportleistungen (NTL) praktisch verstaatlichen und in einer Bundesbahntochter zusammenfassen. Im Mittelpunkt eines neuen Unternehmens zur Konditionierung und Zwischenlagerung des atomaren Mülls wird nach Töpfers Plänen ausgerechnet die bisherige Transnuklear–Konkurrenzfirma GNS stehen, die im Verlauf des Bestechungs–Skandals ebenfalls schwer belastet wurde. Unumstritten ist die grundsätzliche Zuordnung der Brennelementfertigung zu den AKW–Herstellern. Siemens/KWU baut Leichtwasserreaktoren und den Schnellen Brüter und hielt bisher schon 60 Prozent der zugehörigen Hanauer Brennelementhersteller Alkem und Reaktorbrennelementunion (RBU). Nun wird der Konzern von der Skandalfirma Nukem auch noch den Rest übernehmen. Die im Januar stillgelegte Brennelemente–Abteilung bei Nukem arbeitet seit ein paar Tagen mit ministeriellem Segen, als sei nichts geschehen. Unter dem offiziellen Etikett „Leerfahren der Anlage“ spult Nukem (alt) derzeit im wesentlichen ihr von Anfang an vorgesehenes Restprogramm ab. Zur Jahreswende 1989/90 soll die Produktion praktisch nahtlos auf die Nukem–Neuanlage übergehen. In diesen Tagen werden die Nukem–Brennelemente mit Lkw der Skandal–Tochter Transnuklear, allerdings unter der formalen Verantwortung einer dritten Firma, zum Hochtemperaturreaktor nach Hamm gefahren. Auch künftig werden sich die Veränderungen der Eigentumsverhältnisse bei Nukem, entgegen dem in der Öffentlichkeit entstandenen Eindruck, ausschließlich auf die Brennelementeproduktion beschränken. Die Brennelementfertigung umfaßt weniger als ein Viertel des Gesamtunternehmens. Der große Rest - einschließlich des für den Weiterverbreitungsverdacht entscheidenden Bereichs des weltweiten Spaltstoffhandels - bleibt weiter in den bekannten Händen von RWE, Degussa, der Metallgesellschaft und einer Tochter des britischen Konzerns Rio Tinto Zinc. Die Nukem–Brennelementfertigung für Forschungs– und Versuchsreaktoren hat das Unternehmen von sich aus aufgegeben, nicht ohne die Verantwortung für den Verlust von 120 Arbeitsplätzen den Aufsichtsbehörden zuzuschieben. Die Minister Weimar und Töpfer hatten den Betrieb zunächst im vergangenen Sommer und dann noch einmal im Januar vorübergehend dicht gemacht. Dadurch habe man sämtliche Kunden an ein französisches Konkurrenzunternehmen verloren, behauptet Firmensprecher Jörg Pompetzki. Kritiker gehen allerdings davon aus, daß dieser Bereich ohnehin abgestoßen werden sollte. Eduard Bernhard von der Initiativgruppe Umweltschutz Hanau (IUH): „Töpfers Konzentrationsbemühungen ermöglichen der Atomindustrie enorme Rationalisierungseffekte“. Bleibt noch die jetzt wieder aufgenommene Produktion von Brennstoffkugeln für den Hochtemperaturreaktor in Hamm– Uentrop und die sowohl vom Hersteller des Hammer Prototyps BBC als auch von Siemens geplanten Modul–Hochtemperaturreaktoren. Bisher hat Nukem den hochangereicherten Uranbrennstoff beschafft und für die Produktion der Kugel–Brennelemente vorbereitet. Die eigentliche Fertigung erledigte die Nukem–Tochter Hobeg. Seit einigen Wochen rangeln Siemens auf der einen und BBC auf der anderen Seite um das Erbe, weil beide in diesem Bereich einen einträglichen Zukunftsmarkt wittern. „Entschieden ist nichts“, sagt Nukem–Sprecher Pompetzki, der über einen Käufer für diese Abteilung „nicht unfroh“ wäre. Was bleibt von Töpfers „tiefem Schnitt“, ist eine eher verwirrende Umschichtung der Eigentumsverhältnisse in der Atomindustrie. Und der aus dem Umweltministerium immer wieder mit großem publizistischen Erfolg lancierte freiwillige Rückzug des Stromriesen RWE aus der Nukem–Brennelementfertigung - eine Marginalie für den Großkonzern RWE ebenso wie für die Atomindustrie Für Aufregung sorgten allein zur „Unzeit“ publizierte Überlegungen aus dem Umweltministerium, die Brennelementproduktion für Leichtwasserreaktoren und Schnelle Brüter „mittel– bis langfristig“ aus dem politisch unsicheren Hessen ins tiefschwarze Bayern nach Wackersdorf zu verlagern. Wer diese nicht neue und nach der Logik der Atomgemeinde sinnvolle Maßnahme vorschlägt, kann die Atomenergie jedenfalls nicht als „Übergangsenergie“ verstehen. Entsprechen ist in Hanau nur ein leises Grummeln zu vernehmen. Die „größte Verwunderung“, heißt es dort, habe die Art und Weise ausgelöst, in der Töpfer ohne jede rechtliche Handhabe glaube, nach Belieben mit Firmenanteilen herumhantieren zu können. Und Jörg Pompetzki, diesmal in seiner Eigenschaft als Transnuklear–Sprecher, erklärt trotzig, „etwa Mitte Mai“ rechne er mit dem Abschluß von Verkaufsverhandlungen, die die TN derzeit mit einer Spedition im rheinischen Wesseling führe, und deren Namen ihm immerzu entfalle. Es ist die Reederei und Spedition Braunkohle (RSB), eine Rheinbraun–Tochter und RWE– Enkelin, die den Aufsichtsbehörden kürzlich erstmals auffiel, als man auf ihrem Gelände rund 240 Tonnen mehr Uran fand, als genehmigt war. In Hanau kristallisiert sich unterdessen eine interessante Meinungskoalition heraus. IUH– Sprecher Bernhard: „Das Kind bekommt einen anderen Namen, sonst ändert sich gar nichts“. Und ein maßgeblicher Nukem– Firmenangehöriger, der ungenannt bleiben möchte: „Da werden die Schildchen umgeklebt, ein paar Manager umgesetzt und fertig“. Gerd Rosenkranz