Ein Jahrmarkt spiritueller Eitelkeiten in London

■ In der britischen Universitätsstadt Oxford trafen sich in dieser Woche 100 Parlamentarier und 100 geistige Führer zur ersten Konferenz zum „Globalen Überleben“ / Mutter Teresa begrüßt den Dalai Lama

Aus Oxford Rolf Paasch

Im Nebensaal des Rathauses von Oxford herrscht großes Gedränge. Teepause für die 200 Teilnehmer an der „Global Conference of Spiritual and Parliamentary Leaders on Human Survival“. Eine Tasse Tee für Thich Min Chau vom Institut für Höhere Buddhistische Studien in Ho–Chi– Minh–Stadt. Der orthodoxe Bischof Sergei Solinichnogorsky aus Moskau bevorzugt schwarzen Kaffee. Und für Svaga Subramunisyaswami tat es auch ein Orangensaft. Ein Sprecher der Hopi– Indianer diskutiert mit europäischen Parlamentariern über das Überleben. Hier in Oxford wälzen ausgewählte Bewohner unseres Planeten dessen Überlebensprobleme aus wie einen endlosen, in dunklen Farben gewebten Teppich: etwas mehr Glaube und religiöse Führung für die Polit–Pragmatiker und etwas mehr sozialen Realismus für die im Kosmos der Spiritualität driftenden Vertreter der Weltreligionen. Dazwischen die kenntnisreich, hilflos–bemühten Agenten supra–nationaler Hilfsorganisationen, sich von beiden Seiten Ermutigung versprechend, beinahe verzweifelnd zwischen Sachzwanglogik und spirituellem Gefasel. Nach den Eröffnungsansprachen des Bischofs von Canterbury und des Dekans der Universität von Oxford folgte am Dienstag die inhaltliche Diskussion über „Physische und Spirituelle Ressourcen“. James Lovelock, englischer Wissenschaftler des Atmosphärischen, referiert seine wohlbekannte Gaia–Hypothese, welche Atmosphäre, Biospähre, Ozeane und Kontinente als interaktives System definiert, das von uns aus dem Gleichgewicht gebracht wird. Dagegen klingt der US–Astronom Carl Sagan schon beinahe beruhigend, wenn er berichtet, daß der bevorstehende „Greenhouse Effect“ (die Erwärmung der Erdatmosphäre durch Verbrennung fossiler Rohstoffe) von einigen primitiven Meeresorganismen durchaus überlebt werden kann. Kurzum, es geht ums Überleben, und Darwins Problemlösungstrategien sind „out“. Die Bedrohung durch den nuklearen Holocaust, so fügt Dr. Velikhov, Vize–Präsident der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften, hinzu, ließe sich ganz praktisch durch eine Reduzierung der atomaren Arsenale auf fünf Prozent des weltweiten Bestandes herabsetzen. Auch seine Heiligkeit, der XIV. Dalai Lama, ist an diesem Dienstag pragmatisch eingestimmt. Er, der auf seiner Großbritannienreise in Maggies Außenministerium kläglich abgeblitzt ist, weil die Briten es sich in Sachen Hongkong mit den Chine sen nicht verderben wollen, gibt sich der geistige Führer von sechs Millionen Tibetern kompromißbereit. Historisch sei Tibet ein unabhängiges Land, was den Chinesen jedoch nur schwer verständlich sei. „Als Sprecher für das tibetische Volk will ich versuchen, da einen Mittelweg zu finden.“ Am Mittwoch geht es um die „Menschliche Verantwortung in der Krise“. Gemeint war das Thema Überbevölkerung. Frederick Sai, ghanesischer Berater der Weltbank, hält ein eindrucksvolles Referat über die Notwendigkeit von Familienplanung und Empfängnisverhütung. „Anti– Abtreibungsgesetze“, so der Bevölkerungsexperte, „bringen nur eine weitere Diskriminierung der Armen.“ Überraschend viele Händepaare der versammelten Religiosos rühren sich hier zum Beifall. Anschließend demonstriert eine ältere Dame, wie der Ruf nach spiritueller Führung auch nach hinten losgehen kann. Hinter dem Rednerpodium kniend und den Rosenkranz fingernd, improvisiert Mutter Teresa, „wozu Gott sie gerade inspiriert hat“. Es war der Kampf gegen die Abtreibung in aller Welt. Abtreibung sei die „größte Bedrohung der Menschheit“. Sie werde ihre in den Slums der Welt aufgesammelten Waisenkinder nur an solche Familien zur Adoption geben, die nie Empfängnisverhütung betrieben hätten. Und während sie über Familie und (Nächsten–)Liebe philosophiert, fauchen sich hinter dem Berichterstatter gerade zwei Pressephotographinnen im Kampf um den besten „Schuß“ auf Mutter Teresa an. Gleich nach ihrer Rede zieht die 77jährige Nonne aus Kalkutta in jenes unscheinbare Reihenhaus in Downing Street No. 10 weiter, um Frau Thatcher dringlichst zur Unterstützung des von einem Abgeordneten eingebrachten Gesetzes zur Verkürzung der Abtreibungsfristen zu ermahnen. In Oxford wurde dann nach weiteren Debatten über die „globalen Möglichkeiten“ am Freitagmorgen eine Abschlußdeklaration zur Würde des Menschen verabschiedet. Dem Direktor des lamatischen Tibet House in Neu Delhi wäre eine Charta mit Richtlinien für die Politikerkaste wichtiger gewesen. Sein Kollege in Sachen spiritualistischer Führung, Dada Jahan P. Vaswani aus Poona, war unterdessen im Innenhof des Christ College bereits damit beschäftigt, zum Abschluß dieses Jahrmarktes spiritualistischer Eitelkeiten für seine Truppe kräftig die Werbetrommel zu rühren. Worin denn sein Beitrag zu dieser Konferenz bestanden habe, will ich wissen. Mit verklärtem Lächeln erklärt er nach einer gekonnten Pause, er sei nur ein Pilger auf dieser Welt und gehe überallhin, wohin Gott ihn schicke. Die Rechnung für die Vorbereitung und Durchführung dieser historischen Konferenz in Höhe von einer Million Dollar teilten sich die Weltreligionen untereinander auf.