Eine Wende im Thälmann–Prozeß

■ Gericht distanziert sich von Alt–Staatsanwalt Korsch, der alle Kommunisten als unglaubwürdig bezeichnete Staatsanwaltschaft muß auf neues Dokument gegen den Angeklagten SS–Stabsscharführer Otto eingehen

Aus Düsseldorf Bernd Gäbler

Der achte und neunte Verhandlungstag, Donnerstag und Freitag, im Prozeß gegen den ehemaligen SS–Stabsscharführer Wolfgang Otto, der sich wegen Beihilfe an der Ermordung des KPD–Vorsitzenden Ernst Thälmann verantworten muß, brachten eine Wende im Prozeßverlauf. Ausschlaggebend dafür waren ein Beweisantrag der Nebenklage und die Zeugenvernehmung des 1.Staatsanwalts aus Köln, Dr. Korsch, der zwölf Jahre lang mit dem „Buchenwald–Komplex“ befaßt war und 1964 für die Einstellung des Verfahrens gesorgt hatte. Hintergrund des seit dem 10. März laufenden Revisionsverfah rens ist unter anderem die Auffassung des Bundesgerichts, die Möglichkeit, Otto sei in der wahrscheinlichen Tatnacht vom 17./18. August 1944 gar nicht im KZ anwesend gewesen, sei nicht ausreichend geprüft worden. Die Generalbundesanwaltschaft der DDR übergab dem Gericht nun Kopien des Nachweisbuches über die in Buchenwald eingegangenen Fernschreiben. Otto hat in der fraglichen Nacht dreimal mit unterschiedlichen Stiften um 22.50, 23.30 und 1.20Uhr Eingänge quittiert. Dieses Beweismittel gelangte erst aufgrund des deutsch–deutschen Kulturabkommens in DDR– Hände, bis 1986 war das Dokument im Koblenzer Bundesarchiv aufbewahrt worden. Die Staatsanwaltschaft, die sich zunächst skeptisch gezeigt hatte, konnte nicht umhin, die Beweisanregung positiv aufzugreifen. Staatsanwalt Brendle: „Anhand des Eingangsbuches wäre wohl nachweisbar, daß Herr Otto zumindest in der Schreibstube gewesen ist.“ Obwohl er in Koblenz und Arolsen alles durchforstet habe, was mit Buchenwald und möglichen Tätern zu tun gehabt habe, war dieses Buch dem als Zeugen geladenen Staatsanwalt Dr.Korsch - immerhin jahrelang der oberste Ermittler in Sachen NS–Verbrechen im Nachkriegsdeutschland - nicht untergekommen. Die Glaubwürdigkeit des wichtigen polnischen Zeugen Zgoda, der die Exekution Thälmanns verfolgt haben will, sei für ihn aus der Wertung der „Gesamtpersönlichkeit“ heraus nie gegeben gewesen, erklärte Korsch. Der Anwalt der Nebenklage, Heinrich Hannover, versuchte durch intensive Befragung zu erfahren, ob nicht „gewisse Vorurteilsstrukturen“ dabei eine Rolle gespielt haben könnten. Auf die Vorhaltung, ob zu dieser negativen Bewertung des Zeugen auch die Tatsache beigetragen haben könnte, das Zgoda - den Dr.Korsch als „bezahlten Berufszeugen“ tituliert hatte - einmal kommunistische Flugblätter verteilt habe, antwortete Korsch, der einstige Herr der „objektivsten Behörde (so der Richter über die Staatsanwaltschaft): „Das gilt für jeden kommunistischen Zeugen.“ Glaubhafte Zeugen aus den Reihen der KZ–Opfer, so Korsch vor dem Gericht weiter, seien nur die Zeugen Jehovas. Außerdem sei nach kommunistischer Lehre ja Wahrheit immer subjektiv, so daß sie stets aussagen würden, wie sie es brauchten. Das Gericht distanzierte sich gestern am Ende des Verhandlungstages ausdrücklich von diesen Bemerkungen des Zeugen Dr.Korsch und bezog sich dabei explizit auf die anwesenden kommunistischen KZ–Opfer.