Ein Anschlag auf das Herz der PLO

■ Der starke Mann in al–Fatah, „Abu Jihad“, wurde Freitag nacht in seinem Haus in Tunis ermordet

Die Ermordung des al–Fatah–Führers Khalil el–Wazir in Tunis in der Nacht zum Samstag hat den mächtigsten Mann der PLO zu einem Zeitpunkt getroffen, wo mit dem Aufstand in den besetzten Gebieten die Konfrontation zwischen Israel und den Palästinensern einen historischen Höhepunkt erreicht. El– Wazir war zugleich Architekt des Aufstands und der Wiedervereinigung der PLO. Sein Tod ist ein schwerer Schlag für die PLO, doch wird den Aufstand nicht stoppen können.

Der Aufstand der Palästinenser in der besetzten Westbank und dem Gaza–Streifen geht in den fünften Monat und läßt bisher kaum Anzeichen einer Ermüdung erkennen. Trotz Massenverhaftungen und wiederholten Ausweisungen angeblicher Organisatoren haben die israelischen Besatzer die Streiks nicht brechen und die täglichen Straßenkämpfe nicht unterdrücken können. Was liegt in der Logik einer frustrierten Besatzungsmacht näher als den Kopf einer Bewegung, die sich nicht mehr kontrollieren läßt, abzuschlagen? Abu Jihad war der formell Verantwortliche für alle Aktivitäten der PLO in Palästina, sowohl für den Teil, der 1948 zum Staatsgebiet Israels wurde, wie für die 1967 besetzten Teile. Doch Abu Jihad, der zweite Mann hinter Yassir Arafat, dem Vorsitzenden des Exekutivrats der PLO, war mehr als der Leiter einer Abteilung im verzweigten System der politischen und militärischen Institutionen der PLO. Die Konflikte innerhalb der palästinensischen Widerstandsbewegung und die Entwicklungen des gesamten Nahost–Poblems in den letzten Jahren haben ihn zum wichtigsten Mann in der Hierarchie der PLO gemacht, wichtiger noch als die Symbolfigur Arafat. Der Krieg 1982, die Besetzung des Südlibanon durch die israelische Armee, der Abzug der PLO aus dem belagerten Beirut und schließlich die Massaker in den Lagern Sabra und Shatila markierten einen Wendepunkt in der strategischen Orientierung der PLO. Zuvor ging es um den Ausbau und die Erhaltung eines eigenständigen palästinensischen Handlungsraumes gegenüber den jeweiligen arabischen Gastländern, in denen palästinensische Flüchtlinge um ihr Recht kämpften, eine eigene Stimme zu haben und sich gegen Vereinahmungen seitens dieses Regimes wehren zu können. Mit dem weitgehenden Verlust Libanons 1982 als Basis für eine sowohl konventionelle wie auf Guerilla–Methoden gestützte Kriegsführung gegen Israel entschloß sich die PLO, das Land selbst, Palästina, zum Hauptschauplatz zu machen. Die „Entwicklung des Kampfes im Innern“ wurde zur zentralen Parole der PLO. Als Verantwortlicher für die Heimatfront rückte Abu Jihad in den Mittelpunkt der politischen Macht in al–Fatah. Er blieb an der Seite Arafats, als dieser sich, von der Dissidentenbewegung Abu Mussas 1983 mit syrischer Hilfe bedrängt, in das nordlibanesische Tripolis zurückzog und einen monatelangen, innerpalästinensischen Abnutzungskrieg führte. In den Wirren des Bruderkriegs kam auch der damalige Stabschef der al–Assifa, der militärischen Einheiten der al–Fatah, ums Leben. Abu Jihad übernahm dessen Nachfolge und verfügte damit über die größte Hausmacht aller Organisationen innerhalb der PLO. Sein großer Einfluß und das faktische Gewicht seiner Ämter haben ihn sicherlich in Konkurrenz zu Arafat gebracht, doch sind die Spekulationen der westlichen Presse, Arafat selbst könne ihn aus dem Weg geräumt haben, so wahrscheinlich wie ein Mordinteresse Heiner Geisslers an Helmut Kohl. Der Mann mit der größten Chance, einmal Nachfolger Arafats zu werden, baute in den letzten Jahren an den zwei wichtigsten Projekten der palästinensischen Politik: Er wurde zum Architekten der neuen Einheit der PLO und er schaffte die organisatorischen Voraussetzungen für den heutigen Aufstand in den besetzten Gebieten. In langwierigen Verhandlungen gelang es ihm auf dem Hinter grund der Lagerkriege im Libanon, die verfeindeten Fraktionen der PLO militärisch gegen die angreifende libanesische Amal–Bewegung zu vereinen und die ideologischen Grabenkämpfe zwischen der al–Fatah Arafats einerseits und der Volksfront und Demokratischen Front andererseits zu beenden. Die Nationalratsversammlungen von Algier und Amman 1987 haben die wiedergefundene Einheit der PLO manifestiert und die besondere Rolle Abu Jihads in diesem Prozeß betont. Seine Frau, Om Jihad, wurde Mitglied im Exekutivrat und Vorsitzende der palästinensischen Frauen–Union, die sie in den 70er Jahren auch mitbegründet hatte. Darüber hinaus leitet sie eine für die Palästinenser in den besetzten Gebieten wie im Exil äußerst wichtige soziale Institution, den „Fonds der Märtyrer“. Der Funktion nach eine Art Sozialversicherung für die Familien gefallener Kämpfer, hat dieser Fonds finanzielle Mittel zur Verfügung, die, mit dem Umweg über Jordanien, auch der Bevölkerung in den besetzten Gebieten zugute kommen. Abu Jihad selbst, der häufig von Jordanien aus die Aktivitäten der PLO in Palästina leitete, hielt die Fäden in der Hand, an denen sich die sozialen und kulturellen Institutionen der Bevölkerung in den besetzten Gebieten zu einem Netzwerk des Widerstands knüpften: In Sportvereinen, Weiterbildungseinrichtungen für Frauen, Kindertagesstätten und Folkloregruppen schaffte er im Namen der al–Fatah wie auch zur gleichen Zeit die Volksfront und die Demokratische Front in den letzten Jahren die organisatorischen Bedingungen für den Volksaufstand. Er hat immer eine unmittelbare Verantwortung für die Entscheidungen der Führung des Aufstands bestritten, mußte sich offene Kritik an der PLO–Führung in den politischen Erklärungen der Aufständischen gefallen lassen. Er wußte, daß er das Haus, an dem er mitgebaut hatte, selbst nicht bewohnen würde. Die weitere Entwicklung der „Intifada“, der Aufstandsbewegung in der Westbank und im Gaza–Streifen, wird zeigen, wie autonom der Kampf der Palästinenser auch nach dem Fall des Geburtshelfers jenseits der Grenzen sein kann. Thomas Reuter