Blutige Proteste nach Mord an PLO–Militärchef

■ In den von Israel besetzten Gebieten starben am Samstag mindestens 13 Palästinenser durch Schüsse der Armee / Die neue Protestwelle folgt auf den Mord an PLO–Militärchef Abu Jihad

Von A. Wollin u. P. Groll

Tel Aviv/Berlin (taz) - Mit Tränengas, Knüppeln, Gummigeschossen und scharfer Munition ging die israelische Armee am Sonntag gegen mehrere zehntausend PalästinenserInnen vor, die im besetzten Westjordanland und Gazastreifen trotz der über die Stadt Nablus und 15 Flüchtlingslager verhängten Ausgangssperre gegen die Besatzung und für die PLO demonstrierten. Seit Ausbruch der schlimmsten Auseinandersetzungen seit 20 Jahren am Samstag starben nach arabischen Angaben 19 Palästinenser bei Auseinandersetzungen mit der israelischen Armee, mehr als 200 wurden nach gleichen Angaben verletzt. Israelischen Angaben zufolge gab es 13 Todesopfer. Nach dem am Samstag das tödliche Attentat gegen den PLO–Militärchef Khalil el–Wazir (Abu Jihad) im tunesischen Exil bekannt wurde, wehen von fast allen Häusern in den besetzten Gebieten Schwarze Flaggen. Die islamischen Autoritäten haben eine Trauerzeit von drei Tagen und einen Generalstreik angeordnet. In verschiedenen Flüchtlingslagern und Städten wurde der Tote bereits am Samstag mit symbolischen Trauerfeiern geehrt. In der arabischen Welt und einem großen Teil der israelischen Öffentlichkeit besteht kaum Zweifel, daß der israelische Geheimdienst Mossad für den Anschlag verantwortlich ist. Konsens in den besetzten Gebieten ist, daß Khalil el– Wazir, der PLO–Verantwortliche für die besetzten Gebiete, ermordet wurde, weil er zu den palästinensischen Führern gehörte, die Fortsetzung Seite 2 Tagesthema Seite 3 den seit vier Monaten andauernden Widerstand in Westbank und Gaza–Streifen unterstützt haben und gleichzeitig für eine politische Lösung auf dem Verhandlungsweg eintrat. Der Militärkommentator der Zeitung Yediot ahronot betonte am Sonntag: „Israel hatte die Absicht zu beweisen, daß die israelische Abschreckungsgewalt auch nach dem Ausbruch des Aufstandes enorm ist. Wir haben jetzt gezeigt, daß diese Annahme nicht stimmt. Der psychologische Effekt der Operation auf die Palästinenser wird nicht ausbleiben. Schließlich muß die PLO verstehen, daß die strafende lange Hand Israels sie erreicht ...“ Die amtliche Reaktion ist zweideutiges Schweigen in Jerusalem. Rafi Eitan, der ehemalige Geheimdienstchef, bezeichnete am Sonntag das Attentat als „eine Tat der Gerechtigkeit“ und zeigte sich begeistert: „Nur so weiter: es gibt noch weitere Zielscheiben: Habash, Hawatmeh ...“ Diese Palästinenserführer ständen auf einer „Abschußliste“ des Mossad. Reserve– General Schaked, der vor 15 Jahren eine ähnliche Kommandoaktion gegen palästinensische Führer in Beirut dirigiert hatte, bewunderte die „Gründlichkeit der Geheimdienstplanung und die außergewöhnlich gekonnte Ausführung der Operation in Tunis. Der Schlag muß immer das Herz der Organisation treffen, das ist das richtige Rezept.“ Politische Beobachter in Jerusalem glauben, ein politisches Ziel des Attentats sei es, die Bemühungen der beiden Supermächte um einen Friedensprozeß wenigstens kurzfristig, just vor dem nächsten Treffen zwischen Shultz und Shewardnadse, aufzuhalten. Zum anderen sollte auch der Aufstand in den besetzten Gebieten getroffen werden. Haj Ahmed el–Wazir, der Cousin des ermordeten Führers, sagte: „Abu Jihad ist tot, aber es gibt noch fünf Millionen Palästinenser, die wie er denken. Wenn Schamir und Kollegen glauben, das Problem auf solche Weise zu lösen, dann irren sie sich. Das Resultat dieses Verbrechens wird die Intensivierung des Aufstandes sein und nicht seine Schwächung.“ Der Arafat–Berater Bassam Abu Sharif sagte, die PLO werde ihre 1985 eingegangene Verpflichtung überprüfen, israelische Ziele nicht außerhalb der besetzten Gebiete und Israels anzugreifen.