Formsache

■ Nachruf auf die Rotation

Jetzt hat die Alternative Liste (AL) in Berlin die Zwei– Jahres–Rotation für Mandatsträger preisgegeben. Allein die Schleswig–Holstein–Grünen und die GAL in Hamburg kompensieren ihre Bedeutungslosigkeit noch mit der Treue zur reinen Lehre. Zeit also für einen Nachruf auf einen Versuch, durch Satzung die Basis zum Repräsentanten zu machen und der korrupten Politikerkaste den guten Menschen „von unten“ entgegenzustellen: Die Büro–Haß–Gemeinschaften von „Vorrückern“ und „Nachrückern“, der Mißtrauensvorschuß gegenüber den Mandatsträgern, die Diskreditierung von politischer Erfahrung und Qualifikation. Vor allem begünstigte die Entwertung der Mandatsträger das florierende Milieu einer mittleren Funktionärsschicht. Schlimmer noch: Durch die bürokratische Regelung des Widerspruchs zwischen Anspruch und Wirklichkeit haben die Grünen ihr eigenes Konfliktghetto geschaffen. Im Grunde war die Rotation weniger das historisch Neue, als die grüne Version des altdeutschen Glaubens, man könne durch die Satzung Inhalte sichern. Wie die AL auf die Rotation verzichtete, macht die Kosten deutlich: Nicht die politische Auseinandersetzung, sondern nur der entleerte Gegensatz von Prinzipientreue und Pragmatismus gab den Ausschlag. Aber das hörbare Aufatmen über den Ausgang aus der selbstverschuldeten Prinzipientreue läßt nicht übersehen, daß die permanente Auseinandersetzung um Formen die Politik selbst zur Formsache gemacht hat. Zehn Monate vor der Wahl stellt eine Partei nicht den Wahlkampf, sondern allein das Elend ihrer selbstgeschaffenen Struktur zur Debatte. Klaus Hartung