Kondomzwang für Bochumer Bordellbesucher

■ Neue Ordnungsverfügung der Stadtverwaltung auf „eigenen ausdrücklichen Wunsch“ der Prostituierten / Betroffene sind allerdings geteilter Meinung über die Gummiverordnung / Schon kurz nach Inkrafttreten der Verfügung ging das Geschäft um die Hälfte zurück

Aus Bochum Anne Weber

„Ob Aidsgefahr oder nicht, ich arbeite sowieso seit Jahren nur mit Gummi. Denn wer will die Suppe von den Freiern schon in sich drin haben?“ fragt die 24jährige Ilona. Im Prinzip will das keine der etwa 250 anschaffenden Damen im Bochumer Bumsviertel. Trotzdem sind dort die Meinungen über die jüngst erlassene Ordnungsverfügung der Stadt Bochum geteilt. Laut Paragraph 34 Abs.1, Satz1, des Bundesseuchengesetzes muß analer, oraler und vaginaler Geschlechtsverkehr mit Kondomen ausgeführt werden. Nach Angabe des Gesundheitsamtes erhalten die Frauen diese Verfügung auf ihren „eigenen ausdrücklichen Wunsch“. „Die hatten ihre Aidsangst lange Zeit total verdrängt. Nach unserer Aufklärung forderten sie dann, daß wir sie schützen. Und obwohl wir absolute Gegner des Bundesseuchengesetzes im Zusammenhang mit Aids sind, blieb uns nichts anderes als diese Ordnungsverfügungen. Die Freier sind ja schlecht einzeln zu überprüfen“, legitimiert der Aidsfacharzt des Gesundheitsamtes Klaus Hoffmann die Bochumer Maßnahme. Nur für einen Teil der Prostituierten waren Kondome bei der Arbeit bislang selbstverständlich. Die meisten praktizierten für „gute Kunden“ ohne Gummischutz, und das „nicht aus freien Stücken, sondern weils eben Geld bringt“. Bereits jetzt, etwa eine Woche nach Inkrafttreten der Ordnungsverfügung, geht das Geschäft vieler Frauen deutlich schlechter: „Wir haben ungefähr 50 Prozent weniger Freier. Die hauen alle ab nach Dortmund oder Essen. Und wir wissen nicht mehr, wie wir die Mieten zusammenficken sollen.“ Die VertreterInnen des Bochumer Gesundheitsamtes sind nicht nur in Sachen Aidsprophylaxe aktiv. Sie wollen darüber hinaus eine Prostituierten–Selbsthilfegruppe einrichten und prangern vor der Presse auch die „halsabschneide rischen Mieten“ der ansässigen Hauseigentümer an: „150 Mark pro Tag für ein Zimmer mit Bett ist einfach zuviel.“ Gegen den Sextourismus in die benachbarten Revierstädte versuchten sie kürzlich Vorbeugemaßnahmen zu treffen. Hoffmann hatte Aidsfachkräfte aus zwölf Städten zu einer Tagung eingeladen. Inwieweit die Bochumer Aidspolitik Vorbildfunktion für andere Städte haben könnte, war dort noch nicht abzusehen. Viele der sogenannten Fachärzte hatten sich mit Prostituierten als Aidsrisikogruppe noch gar nicht befaßt. Sie stimmten mit Hoffmann überein, daß für die Aidsprävention und Beratung dringend mehr ABM– Stellen einzurichten sind. Hoffmanns Engagement trifft hauptsächlich bei den finanziell gutgestellten Prostituierten auf positive Resonanz: „Bei einer Zimmermiete zwischen 50 und 90 Mark pro Tag und fester Stammkundschaft können wir es uns leisten, konsequent nur mit Gummi anzuschaffen. Außerdem, Gesundheit geht vor!“ Diese Frauen haben die Ordnungsverfügung gefordert und freiwillig unterschrieben. Hoffmann nennt sie „die Mehrheit“. Gegen diese „Mehrheit“ steht aber auch ein Großteil von Prostituierten, die sich durch die Ordnungsverfügungen zusätzlich belastet sieht: „Immer geht alles auf unser Konto. Wir halten den Hintern hin. Wir haben die Vermieter und die Zuhälter im Nacken, kriegen kein Kranken–, kein Arbeitslosengeld und haben jetzt auch noch den Kondomzwang!“ Tatsächlich sind die Prostituierten von dem Gesundheitsamt und der Stadt Bochum vor die Alternative Ordnungsverfügung oder Entzug der Arbeitserlaubnis gestellt worden. Zwei Frauen wollen jetzt gerichtlich Widerspruch einlegen. Prinzipiell stimmen sie zwar der Gummiverordnung zu, aber: „Wir sehen nicht ein, das Pilotprojekt in Nordrhein–Westfalen sein zu müssen! Die Stadt Bochum verdient sich ne goldene Nase mit ihrer Aidspolitik, die Freier bleiben weg, und wir gucken in die Röhre.“ Einfach „ohne“ zu arbeiten, ist den Gegnerinnen des Kondomzwanges zu gefährlich. Und das nicht wegen Aids, sondern „weil die vom Gesundheitsamt hier falsche Freier reinschicken werden und uns dann Geldbußen bis zu 50.000 Mark ins Haus stehen“. Die „falschen Freier“ bestätigt das Gesundheitsamt, die Geldbußen auch, ansonsten heißt es dort: „Wo kein Kläger, da kein Richter.“