: Ein Stück konkrete Frauen–Utopie
■ Grünen–Fraktion veranstaltet Anhörung zum Paragraph–218–Beratungsgesetz in Bonn / Gegenentwurf soll die Gegnerinnen des Paragraphen 218 aus der Defensive herausführen / Koalitions–Männer–Runde am Freitag: Werden sich jetzt CDU und FDP einig?
Aus Bonn Ursel Sieber
Daß „es brennt“ war allen klar, die am Montag zu der Anhörung nach Bonn gekommen waren, die die Grünen–Fraktion gegen das Beratungsgesetz veranstaltet hat. Innerhalb der Regierungskoalition sind zwar nicht alle Konflikte ausgeräumt, und die FDP–Frauen kritisieren an dem von Ministerin Süssmuth vorgelegten Entwurf vor allem die sogenannte Länderklausel, die Bayern oder Baden– Württemberg weitere Verschärfungen ermöglichen wird. Schon am kommenden Freitag aber wird eine Koalitions–Runde versuchen, die strittigen Punkte abzuklären: Für die FDP sind die Herren Mischnik und Bangemann, sowie die Abgeordnete Uta Würfel, mit von der Partie; von CDU– Seite kommen Kohl, Dregger und Süssmuth und für die CSU Landesgruppenchef Theo Waigel. Der Entwurf aus dem Hause Süssmuth habe bei vielen Frauen einen „richtigen Schock“ ausgelöst, meinte Verena Krieger (MdB) in ihrem Statement. Spätestens jetzt sei klar geworden, daß es den Konservativen keineswegs nur um seichte Drohungen, sondern um ganz konkrete Verschlechterungen gehe. Die Kritik an dem Süssmuth–Entwurf war schnell zusammengetragen und im Kern nicht neu: Beratung werde zur Farce, in ihr Gegenteil verkehrt, wenn Beratungsstellen verpflichtet würden, „intensiv auf die Fortsetzung der Schwangerschaft“ hinzuwirken. Frauen würden einem größeren gesundheitlichen Risiko ausgesetzt, wenn die Beratung und Feststellung der Indikation personell getrennt und der Abbruch so hinausgezögert würde. Der Zwang zur Fortbildung der Ärzte verdeutliche, daß es sich um einen ernstzunehmenden Angriff auf jedes liberale Beratungsangebot handele. Aber was tun, außer diese Kritik immer wieder an die Öffentlichkeit zu tragen? „Es reicht nicht aus, lediglich für die Beibehaltung des Status quo zu plädieren“, sagte Verena Krieger und knüpfte damit den Bogen zu der politischen Strategie, die die Grünen–Fraktionsfrauen jetzt einschlagen wollen: Um all diese Verschlechterungen abzuwenden und um „ideolgisch in die Offensive“ zu kommen, haben sie einen „positiven Gegenentwurf“ entwickelt. Kein alternatives Beratungsgesetz, sondern ein Stückchen konkrete Utopie, wie eine Gesellschaft mit dem Problem ungewollter Schwangerschaften anders umgehen könnte als dies bisher geschieht. Das Ziel beschrieb Verena Krieger so: Vorstellungen, daß Abtreibungen irgendwann völlig vermieden werden könnten, ließen sich sicher niemals verwirklichen. Aber wenn die Grünen–Vorschläge umgesetzt würden, werde es zu weniger ungewollten Schwangerschaften und damit auch zu weniger Abtreibungen kommen, dann würden Abtreibungen früher vorgenommen und alle Frauen könnten dabei ihre Würde bewahren. Dieser grüne Gegen–Entwurf ist am Montag erstmals zur Diskussion gestellt worden. Der Titel „Zur Sicherung der Entscheidungsfreiheit von Frauen im Schwangerschaftskonflikt“ gibt die Stoßrichtung an: Dem Staat wird das Recht abgesprochen, Frauen in der Kinder–Frage Vorschriften zu machen; der Paragraph218 wäre aus dem Strafgesetzbuch also ganz gestrichen. Der als Experte geladene Jurist, Professor Schumann von der Universität Bremen, unterstützte dies mit den Worten: „Bei Abtreibungen hat das Strafrecht die Rolle eines Statisten. Es ist da, aber es hat nichts zu sagen.“ Was aber, wenn der Para graph218 gestrichen ist? Ein Abbruch, der gegen den Willen der Frau vorgenommen wird, würde fortan als schwere Körperverletzung (Paragraph224 Strafgesetz) bestraft: Und Beratungsstellen würde es nach dem Grünen–Entwurf weiterhin geben - allerdings in ganz anderer Form: An die Stelle der heute bestehenden Pflicht zu einem Beratungsgespräch soll das Prinzip der Freiwilligkeit treten. Die kassenärztlichen Vereinigungen würden verpflichtet, das Beratungsangebot zu vergrößeren, und in jeder Stadt und in jedem Landkreis für ein Beratungsangebot - auf freiwilliger Basis - zu sorgen. Über die Veränderung der Reichsversicherungsordnung soll erreicht werden, daß jeder Abbruch von der Krankenkasse finanziert wird. Die Einrichtungen und Arztpraxen, die amubulante Abbrüche vornehmen, wären damit den Krankenhäusern gleichgestellt. Aber eine „Soll–Bestimmung“ fordert die Frauen und Ärtze auf, den Abbruch „zum frühestmöglichen Zeitpunkt“ vorzunehmen. Die Bonner Rechtsanwältin Barbelies Wiegmann war eine der wenigen, die das grüne Gesetzespaket grundsätzlich eher skeptisch bewertete: Die Forderung, den Paragraph218 zu streichen, sei ein Reizthema, und viele stellten bei dieser Forderung sofort das „klare Denken“ ein. Auch deshalb sei es besser, den ihn nicht ganz zu streichen, sondern den Paragraphen mit einem neuen Inhalt stehen zu lassen: Bestraft werden sollte damit nur noch, wer gegen den Willen der Frau oder entgegen „den Regeln ärztlicher Kunst“ einen Abbruch vornehme. Waltraut Schoppe unterstützte den Vorschlag, und fügte bedauernd hinzu, dies sei leider in der Fraktion nicht durchsetzbar gewesen. Verena Krieger und Birgit Laubach, eine Rechtsanwältin der grünen Fraktion, widersprachen: Man müsse das Reizwort „Streichung“ nennen, um aus der Defensive herauszukommen.
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