Namibia an Südafrikas kurzer Leine

■ Südafrika stößt die Übergangsregierung Namibias vor den Kopf: Südafrikas Verwalter in Namibia erhält mehr Macht / Entgegen Versprechungen wurde Namibia vor dem Schritt nicht konsultiert

Aus Johannesburg Hans Brandt

Fünf von acht Ministern im Kabinett der von Südafrika eingesetzten sogenannten Übergangsregierung in Namibia haben am Dienstag mit ihrem Rücktritt gedroht, wenn der südafrikanische Staatspräsident Pieter W. Botha sich nicht zu dringenden Verhandlungen bereit erklärt. Bothas Reaktion wurde noch am gestrigen Nachmittag nach Redaktionsschluß in einer Rede vor dem südafrikanischen Parlament erwartet. Botha hatte am vergangenen Freitag die Vollmachten des südafrikanischen Verwalters in Nambibia, Louis Pienaar, ausgeweitet, um den von der Übergangsregierung geplanten Abbau der nach Rassen getrennten Verwaltungsstrukturen auf lokaler Ebene zu verhindern. Statt dessen hat Pienaar nun die Macht, ohne Absprache mit der Übergangsregierung Wahlen auf lokaler Ebene auszurufen, die die Apartheid weiter festigen. Apartheids–Strukturen dürfen außerdem nicht ohne Zustimmung des Verwalters abgeschafft werden. Gerichtliche Klagen gegen diskriminierende Gesetze in Namibia sollen in Zukunft vor dem südafrikanischen Berufungsgericht in letzter Instanz verhandelt werden und haben deshalb wenig Aussicht auf Erfolg. Der Verwalter hat nun außerdem die Macht, gegen Organisationen und Publikationen vorzugehen, die „Subversion und Terrorismus fördern“. Damit ist der südafrikanische Ausnahmezustand zum Teil auf Namibia ausgeweitet worden. Botha hatte diese neuen Vollmachten für Pienaar erstmals nach einem Kurzbesuch in Windhuk, der Haupstadt Namibias, am 8.April angekündigt. Pienaar hatte den Ärger der Übergangsregierung damals beschwichtigt und umfangreiche Konsultationen über die geplanten Veränderungen zugesagt. Die Proklamation R101, infolge derer die Übergangsregierung im Juni 1985 eingesetzt wurde, würde nur nach diesen Konsultationen verändert werden, sagte Pienaar. Tatsächlich wurden die Veränderungen am vergangenen Freitag jedoch im Staatsanzeiger veröffentlicht. „Man hat uns wie einen Stier kastriert,“ sagte Moses Matjiongua, führendes schwarzes Mitglied der Übergangsregierung. „Das können wir nicht hinnehmen.“ Die südwestafrikanische Volksorganisation (SWAPO), die wichtigste Widerstandsorganisation im Kampf gegen die illegale Besetzung Namibias durch Südafrika, hat die Übergangsregierung immer als Marionettenregierung von Südafrikas Gnaden verurteilt. Die jüngsten Ereignisse haben diese Einschätzung erneut bestätigt. Wenn Südafrika schon seine eigene Marionettenregierung in dieser Weise zurückpfeift, ist eine international anerkannte Unabhängigkeit Namibias, die aufgrund von freien Wahlen bei Beteiligung aller Rassen im Sinne der UN–Resolution 435 von 1978 erreicht werden soll, erst recht unwahrscheinlich. PORTRAIT