Kehrtwendung?

■ Jesse Jacksons Überraschungswahlkampf

Die drei verbliebenen demokratischen Präsidentschaftsbewerber, über die am Dienstag in New York abgestimmt wurde, hatten alle etwas zu verlieren. Michael Dukakis riskierte seine wacklige Position als Spitzenreiter und konsensfähiger Kandidat seiner Partei, Jesse Jackson konnte seine Rolle als bisher überraschend erfolgreicher Herausforderer der überkommenen Strukturen der Demokraten einbüßen, und für Albert Gore ging es schlicht um die Möglichkeit, seine Kampagne fortsetzen zu können. Er ist hoch verschuldet und brauchte mindestens zwanzig Prozent der Stimmen, um weiter die staatliche Wahlkampfunterstützung zu erhalten. Hätte Dukakis in New York nicht deutlich gewonnen, er wäre im Juli vom demokratischen Parteitag in Atlanta nur noch als fragwürdige Notlösung gekrönt worden. Jacksons Herausforderung der politischen Gegebenheiten in seinem Land und in seiner Partei ist der wichtigste, der überraschendste und der interessanteste Aspekt dieser Wahlkampagne. Ob er nun im November als Vizepräsident oder nur als einflußreicher politischer Makler dasteht, ist sekundär. Entscheidend ist, daß er bewiesen hat, daß es für die Demokraten auch eine andere politische Strategie geben kann als die vom eher konservativen Parteiestablishment vorgezeichnete. Jackson widerlegte die These, daß man immer weiter nach rechts rücken muß, um in den USA noch Wahlen gewinnen zu können. Außerhalb der Vereinigten Staaten mag man ungläubig auf die politische Kehrtwendung schauen, die in diesem Land nach sieben Jahren Reagan vor sich zu gehen scheint. Doch amerikanische Wahlkampagnen sind von ihrer Struktur her für Überraschungen geeignet. Reagans Nominierung vor acht Jahren kam genauso unerwartet wie Jacksons gegenwärtiger Ansturm auf das demokratische Hauptquartier. Jacksons Partei muß beweisen, daß sie diese an ihrem linken Rand freigesetzte Energie nutzen kann, ihren Rassismus überwindet und so diese neuen Wählerschichten nicht verprellt. Denn ohne die schwarzen Wähler kann Dukakis das Weiße Haus nicht gewinnen. Stefan Schaaf