Freiheit braucht keine Coca Cola

■ Der Aufstand der Palästinenser in den besetzten Gebieten hält seit fünf Monaten an / Mit Improvisation, Solidarität und Selbstversorgung antworten die Palästinenser auf die Wirtschaftssanktionen Israels / Strategie des zivilen Ungehorsams

Aus der Westbank Beate Seel

Meter um Meter kämpft sich der Bulldozer auf dem steinigen Hang vor, schiebt Felsbrocken zur Seite und planiert eine Terrasse in dem abschüssigen Gelände. Das Knattern des schweren Motors ist neben den Rufen spielender Kinder der einzige Laut, der von Leben und Aktivität zeugt in diesem kleinen Dorf in der Westbank in der Region von Bethlehem zeugt. Feiertägliche Stille liegt über der Ansiedlung und den angrenzenden grünen Hügeln, die ein Muster aus mit weißen Feldsteinen angehäuften Mäuerchen überzieht. Es herrscht Generalstreik. Auf fast jedem Dach flattert ein schwarzer Fetzen als Zeichen der Trauer um Abu Jihad, den zweiten Mann der Palästinensischen Befreiungsbewegung (PLO), der letzten Samstag in Tunis von einem Killerkommando ermordet wurde. Mohamed, der Fahrer des Bulldozers, trotzt dem steinigen Boden hinter dem Neubau seines Hauses Stück um Stück ein wenig Erde ab für die landwirtschaftliche Nutzung. Ein Bauer ist er nicht: Er hat bisher mit seiner Planierraupe für eine israelische Firma gearbeitet. Im Zuge der Intifada, des palästinensischen Aufstands in den besetzten Gebieten, hat er gekündigt und ist nun auf eigene Rechnung tätig. Arbeit gibt es genug. „Wir müssen unser Land wieder bearbeiten, um wirtschaftlich von Israel unabhängig zu werden“, erklärt er. „Wir wollen hier Trauben und Tomaten anbauen.“ Mohamed ist einer von vielen, die einem Aufruf der „Vereinigten Nationalen Führung des Aufstands“ folgen, die wiederholt in ihren Kommuniques an die palästinensische Bevölkerung appelliert hat, in ihren Gärten und auf unbewirtschaftetem Boden Obst und Gemüse anzubauen und Kleintiere für die Selbstversorgung zu halten - Teil einer Strategie des zivilen Ungehorsams, die schließlich zum Ende jedweder Zusammenarbeit mit der Besatzungsmacht führen soll. Freilich hat Mohamed wirtschaftliche Einbußen hinnehmen müssen. Dennoch unterstützt er die Familie seiner Schwester, die mit ihren sechs Kindern zum Essen gekommen ist. Ihr Mann, Ernährer der Familie, wird von den israelischen Behörden gesucht und hält sich versteckt - ähnlich wie viele Jugendliche, die abends ihr Bündel schnüren und sich in die Berge schlagen, um einer Festnahme während der nächtlichen Razzien zu entgehen. Siebenmal innerhalb einer Woche seien die Soldaten mitten in der Nacht in ihr Haus gestürmt, hätten nach ihrem Mann gefragt, sie beleidigt und das Mobiliar umgeworfen, berichtet die Frau. Um den Kindern diesen Schrecken zu ersparen, übernachtet sie häufig bei Freunden oder Nachbarn. Sie nimmt ihren Jüngsten, einen kaum dreijäh rigen Knirps, auf den Schoß. Er soll mir ein palästinensisches Lied vorsingen. Immer wieder flüstert sie dem Jungen den Refrain: „Palästina ist arabisch - nieder mit Israel“ ins Ohr, bis er und zwei seiner älteren Geschwister in ihren Gesang einstimmen. „Die Solidarität ist ein sehr erfolgreiches Phänomen“, hatte mir zuvor eine Studentin der palästinensischen Universität Bir Zeit erläutert. „Familien, die kein Einkommen haben, werden von Verwandten oder Nachbarn versorgt. Jeder gibt ab, was er entbehren kann. Der Konsum hat deutlich nachgelassen. Es gibt halt vieles, worauf man verzichten kann: neue Kleider, der Gang zum Friseur, Kino und dergleichen. Coca Cola zum Beispiel ist nicht wichtig, es ist besser, einen Korb voll Orangen für fünf oder sechs Schekel zu kaufen und den Saft selbst zu machen. Das ist ein Produkt unseres Landes. Wir haben eine Tradition der Gastfreundschaft, aber die jetzige Situation erlaubt keine Großzügigkeit, wir leben bescheiden.“ Die junge Aktivistin streitet nicht ab, daß die Streiks und die israelischen Maßnahmen des Wirtschaftsboykotts zahlreiche Arbeitsplätze kosten und andere Probleme schaffen. Sie verweist darauf, daß die besetzten Gebiete zu einem Exportmarkt palästinensischer Arbeitskräfte für Israel geworden waren. Viele von denen, die in Israel arbeiten und ihr Land verlassen haben, kehren jetzt zurück. Selbst in Bir Zeit, wo es nicht viele Möglichkeiten für Landwirtschaft gibt, wird (in den kleinen Gärten) Gemüse und Obst in den kleinen Gärten angebaut. Die Selbstversorgung der Haushalte ist eine Lösung für viele Probleme, nicht zuletzt auch das der Arbeitslosigkeit. Um der Bevölkerung die Möglichkeit zu geben, sich mit dem Nötigsten einzudecken, sind die Geschäfte zu bestimmten, von der PLO festgesetzten Zeiten geöffnet. Freilich gab es wiederholt Fälle, in denen israelische Soldaten die Läden gewaltsam wieder schlossen. Ein fast schon symbolisches Tauziehen, um zu demonstrieren, wer die Gesetze des Handelns schreibt. „Zum Teil wickeln wir die Geschäfte während der Öffnungszeiten jetzt direkt in den Häusern und nicht im Laden ab“, erklärt ein Student die Reaktion der Palästinenser auf solche Maßnahmen. „Wenn jemand etwas braucht, weiß er, wohin er gehen muß. Bisher konnte noch nicht der Bedarf für alle 120.000 palästinensischen Arbeiter gedeckt werden, die in Israel beschäftigt sind, aber Schritt für Schritt werden wir dahin kommen. Wenn die Intifada Probleme schafft, entstehen daraus auch neue Lösungen. Wir haben unsere Freiheit und Würde zurückgewonnen und fühlen uns nicht länger erniedrigt und ausgebeutet. Es macht nichts, wenn wir nicht mehr so viel zu essen haben; das, was vorhanden ist, wird schon reichen. Ich bin überzeugt, daß Freiheit auch Opfer fordert. Nicht nur ich als Student oder Ehemann oder Vater empfinde das so, jeder, dessen Identität palästinensisch ist.“ Noch oft an diesem Tag werde ich die Worte „Freiheit und Würde“ zu hören bekommen.