CDU auf rigidem wirtschaftspolitischen Kurs

■ Leitantrag zum Bundesparteitag wurde erheblich verschärft / Wirtschafts– und Sozialpolitik wird aufgewertet Klares Plädoyer für Flexibilisierung / Neue Sozialleistungen unter Finanzierungsvorbehalt / Kritik an Arbeitslosenstatistik

Aus Bonn Oliver Tolmein

Daß der Blick auf den öffentlich geführten Streit nicht immer den Kern realpolitisch brisanter Entwicklungen trifft - die Lektüre des Leitantrages des CDU–Bundesvorstands zum nächsten Bundesparteitag „Politik auf Grundlage des christlichen Menschenbildes“ führt es uns vor Augen. Während draußen in der Presse der Leitantrag zur Deutschlandpolitik intensivst diskutiert wurde, feilte man am Geißler–Entwurf zu sozial– und wirtschaftspolitischen Themen im stillen Kämmerchen. Der Ton des jetzt auf der Bundesvorstandsklausur verabschiedeten Leitantrages ist schneidend geworden: die Volkswirtschaft modernisieren, wirtschaftliche Dynamik freisetzen, die Höhe der Arbeitskosten senken, Lohnzusatzkosten begrenzen, Flexibilisierung vorantreiben. Opfer müssen gebracht werden, Rücksichten werden in der neuen Fassung nur noch auf Unternehmerinteressen genommen. Während in Geißlers ursprünglichem Entwurf von „Neuer Solidarität mit den Arbeitslosen“ die Rede war, ist der Titel des 14seitigen Abschnitts in der überarbeiteten Vorlage: „Soziale Marktwirtschaft sichert Zukunft und Solidarität“. Eine zentrale Rolle spielen in dem Konzept die Arbeitskosten: sie sind angeblich zu hoch, um die „hohe Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Bundesrepublik“ zu sichern. „Zusätzliche Arbeitsplätze können dann geschaffen werden, wenn der Produktivitätsfortschritt der Wirtschaft höher liegt als der Anstieg der Arbeitskosten“, stellt der Leitantrag fest. Verantwortlich dafür, und damit letzten Endes verantwortlich für die Höhe der Arbeitslosenrate, sollen die Tarifparteien sein. „Flexiblere Formen der Arbeitsorganisation, mehr Mut zu individuellen Lösungen, ein klares Ja zu neuen Technologien sowie flexiblere rechtliche Rahmenbedingungen“ können angeblich „unse ren Wohlstand“ erhalten. Der Staat hat, dem überarbeiteten Leitantrag zufolge, vor allem die Aufgabe, den Standort BRD attraktiv zu halten: die schon in Geißlers Entwurf angekündigte „umfassende Reform der Unternehmensbesteuerung“ soll dabei eine wichtige Rolle spielen. „Öffentliche Infrastrukturinvestitionen“ werden ein weiteres zentrales Instrument. Wollte der ursprüngliche Leitantragsentwurf noch Sympathien erheischen, indem er als Beispiele für öffentliche Investitionen „die Beseitigung gesundheitsgefährdender Altlasten, die Erneuerung der Kanalisationsnetze und die Sanierung von Großwohnanlagen“ nannte, kommt die überarbeitete Fassung ohne soziale oder ökologische Schnörkel aus. Es geht um „den weiteren Aufbau moderner Kommunikationsnetze, den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, eine leistungsfähige Technologieinfrastruktur“. Auch in Details weicht der beschlossene CDU–Leitantrag von der Vorlage ab: statt von „2,5 Millionen Arbeitslosen“ ist jetzt nur noch von „über zwei Millionen Arbeitslosen“ die Rede. Dafür verbucht die CDU jetzt „mehr als 750.000 neu geschaffene Arbeitsplätze“ auf ihr Konto, während es ursprünglich nur „700.000“ waren. Die Zahlenspielereien sind nicht nebensächlich: Ausführlich beschäftigt sich der Leitantrag mit den angeblichen Tücken der Arbeitslosenstatistik. In ihr sei sowohl die „Arbeitslosigkeit von qualifizierten, gesundheitlich nicht beeinträchtigten Arbeitssuchenden, die schnell wieder einen neuen Arbeitsplatz finden“, erfaßt als auch die „Arbeitslosigkeit Jugendlicher, die in der Regel kaum drei Monate dauert“. Verfälschend wirke, so Kohl bei der Erläuterung des Leitantrages vor der Presse, daß „es ganze Gruppen von Arbeitslosen gibt, die gar keine Arbeit suchen“. Während die Reform der Unternehmensbesteuerung und Flexibilisierungsmaßnahmen recht konkret angekündigt werden, sind die - in der alten Diskussionsvorlage angekündigten - sozialpolitischen Neuerungszusagen fast ausnahmslos zu unverbindlichen Absichtserklärungen umformuliert und unter einen Finanzierungsvorbehalt gestellt worden: „Die sozialen Leistungen müssen so umstrukturiert werden, daß ohne Erhöhung des Gesamtaufwandes mehr Gerechtigkeit erreicht wird“, heißt es jetzt im Vorspann zu diesem Abschnitt. Weder die Anerkennung von drei Erziehungsjahren in der Rentenversicherung noch das Familiensplitting oder die konkrete Planung der Ausweitung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub haben Eingang in das neue Papier gefunden. Auch zur Pflegefinanzierung finden sich nur allgemeine Aussagen. Und die Idee, daß künftig die Kosten für den Schwangerschaftsabbruch den Gesetzlichen Krankenversicherungen als versicherungsfremde Leistungen aus dem Bundesetat erstattet werden sollen, ist stillschweigend fallengelassen worden.