Ärzte dürfen kein Gewissen haben

■ Düsseldorfer Landesarbeitsgericht spricht zwei Medizinern das Recht ab, die Arbeit an atomkrieg–relevanter Arznei zu verweigern / Das Medikament soll kurzfristig Folgen von radioaktiver Strahlung mildern

Aus Düsseldorf J. Nitschmann

Die Erforschung eines Medikaments, das im Falle eines Atomkriegs die Kampfkraft verstrahlter Soldaten um Tage verlängert und damit ihren unweigerlichen Tod aufschiebt, darf von den Beschäftigten eines Pharmakonzerns nicht aus Gewissensgründen verweigert werden. Dies hat am Freitag in zweiter Instanz die 11.Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf entschieden und damit eine entsprechende Klage von zwei gekündigten Ärzten des Neusser Arzneimittelherstellers Beecham–Wülfing abgewiesen. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung dieses Falles ließ das Gericht jedoch eine Revision vor dem Bundesarbeitsgericht Kassel zu. Der Neusser Pharmakonzern hatte die beiden Mediziner Mitte vergangenen Jahres fristlos entlassen, nachdem sie sich aus „schwerwiegenden ethisch–medizinischen Gewissensgründen“ geweigert hatten, an der Entwicklung einer Anti–Strahlen–Pille mitzuarbeiten, die Übelkeit als Folgen radioaktiver Verstrahlung kurzfristig mildern soll. Erst während der laufenden Forschungsarbeiten hatten die Ärzte aus einem sogenannten „Entscheidungsdokument“ ihrer Firma erfahren, daß die unter der Bezeichnung BRL 43694 in den Laboratorien entwickelte Substanz nicht alleine der Behandlung von Krebspatienten nach radioaktiven Bestrahlungstherapien dienen sollte. „Bei Strahlenkrankheiten entweder entstehend durch Radiotherapie bei Krebs oder als mögliche Konsequenz eines nuklearen Krieges verbessert das Medikament die Prävention. Das Marktpotential für eine solche Droge ist signifikant“, heißt es in dem bekanntgewordenen Firmendokument. Vor dem Landesarbeitsgericht mußten die Vertreter von Beecham–Wülfing immerhin einräumen, daß Stellen der NATO von sich aus wegen dieses Medikaments Kontakte mit dem Pharmakonzern aufgenommen haben. Die Landesarbeitsrichter wiesen die Klage der beiden Medizi ner ab, weil sie sich bei ihrer Forschungstätigkeit „nicht mit den verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten des in der Endphase hergestellten Medikaments identifizieren“ müßten. Ihr individueller Beitrag im Rahmen der Gesamtforschung und möglichen Anwendung sei „zu gering und wertneutral“, um Gewissensgründe für eine Arbeitsverweigerung geltend machen zu können, urteilten die Landearbeitsrichter. Darüber hinaus hielt das Gericht den Klägern einen „fehlenden Realitätsbezug“ vor, wenn sie argumentierten, daß durch den erwogenen Einsatz der Anti–Strahlen–Pille die Gefahr eines nuklearen Krieges wahrscheinlicher werde. Im übrigen fehle der Nachweis, daß die Zweckbestimmung des Medikaments für NATO und Atom–Krieg zu finden sei.