Nelkenrevolution hinter Gittern

■ Am 14. Jahrestag der portugiesischen "Nelkenrevolution": Mario Soares wird in Bonn hofiert - Otelo Saraiva de Carvalho sitzt im Gefängnis / Der Organisator des Putsches gegen den Diktator Caetano wurde wegen "Terrorismus"

Der große Stratege der „Nelken–Revolution“ vom 25April 1974, Otelo Saraiva de Carvalho, wurde im Mai letzten Jahres zu fünfzehn Jahren Haft verurteilt. Seine Verteidiger beantragten die Revision des Verfahrens, erreichten jedoch eine Erhöhung der Strafe auf achtzehn Jahre. Verurteilt wurde er wegen angeblicher „Gründung und Leitung einer terroristischen Organisation“. Fünfzig weitere Angeklagte erhielten Haftstrafen zwischen acht und fünfzehn Jahren. Am glimpflichsten kamen vier „reumütige“ Kronzeugen davon, auf deren belastende Aussagen sich die Urteile weitgehend stützten. Der ehemalige amerikanische Justizminister Ramsey Clark hat den Prozeß beobachtet. Nach seinen Aussagen konnten weder Carvalho noch seinen Mitangeklagten die Initiierung oder Durchführung einer Gewalttat nachgewiesen werden. Der Prozeß habe grundlegende Prinzipien des internationalen Rechts verletzt. Carvalho sei mit dem Gesetz verurteilt worden, das erst sechs Jahre nach den angeblichen Straftaten verabschiedet worden war. Dieses Gesetz ermöglichte einen Urteilsspruch, der Carvalho, die einstige Symbolfigur der „Nelken– Revolution“, zum Terroristen macht. taz: Während des Faschismus hatte das Wort „Terrorismus“ eine ganz andere Bedeutung als heute. Als terroristisch wurden die afrikanischen Befreiungsbewegungen bezeichnet. Was bedeutet Terrorismus für Sie? Otelo de Carvalho: Es gibt in der Tat viele Formen des Terrorismus. Es wird viel von der Gewalt geredet, die der Terrorist auf die Bürger ausübt, aber wer spricht schon von der Gewalt, die die sogenannten demokratischen Staaten ausüben? Ich bin gegen einen „antiterroristischen“ Diskurs, weil er in gefährlicher Weise instrumentalisiert werden kann. Man hat mich und meine Kameraden von der FUP beschuldigt, Terroristen zu sein und der FP–25 angehört zu haben. Das stimmt nicht. Wir waren nur bereit zu handeln, wenn die Demokratie in Gefahr gewesen wäre. Aber man hat uns angeklagt, die „portugiesische Demokratie abschaffen zu wollen“. Und das Wort Revolution? Für mich bleiben die marxistischen Konzepte des Klassenkampfes gültig. Ich denke, daß es sehr schwierig für die Unterdrückten sein wird, die Un terdrücker ohne den bewaffneten Kampf zu besiegen. Es gibt noch kein realisiertes sozialistisches Modell, aber genau dafür muß man kämpfen. Ich weiß, daß eine revolutionäre Phase in Portugal jetzt nicht möglich ist. Ich betrachte den gegenwärtigen Zeitpunkt als Übergangsphase, die zehn, zwanzig, hundert Jahre dauern kann, ich kanns nicht vorhersagen. Aber es ist auf jeden Fall eine Übergangsphase. Man darf nicht vergessen, daß die Demokratie in unserem Land nur über eine bewaffnete Auseinandersetzung möglich wurde. In Ihrem letzten Buch „Anklage und Verteidigung in Monsanto“ schreiben Sie: „In Wirklichkeit bin ich ein Militär und kein Politiker.“ Das ist leider wahr. Meine erste Ausbildung war eine militärische, und ich spüre, daß das meine grundlegende Erfahrung ist. Das politische Bewußtsein ist später gekommen, vor allem durch die Kolonialkriege. Das war für mich auch in der Revolution entscheidend. In jener Phase hatte ich viel politische Macht in den Händen und ich hätte sie bis zum letzten nutzen können. Aber ich habe es nicht getan. Es endete damit, daß ich mich von meiner militärischen Mentalität beherrschen ließ. Wie erklären Sie sich die geringe Solidarität in Portugal mit Ihrem Fall, die Gleichgültigkeit der jungen Leute, der Intellektuellen und vor allem fast aller Parteien der Linken? Das portugiesische Volk ist ein fatalistisches Volk. Und das ist unser Verhängnis. Aber eines ist interessant. Sofort nach dem Ausbruch der Revolution war diese Passivität verschwunden. Nie habe ich so viel Enthusiasmus gesehen, soviel Initiative, soviel Phantasie. Manchmal gibt es hier oder im Ausland Solidaritätsbewegungen, aber sie werden fast immer von den Zeitungen und dem Fernsehn verschwiegen. Was die jungen Leute betrifft, ist es anders. Sie waren noch Kinder zur Zeit der Revolution. Sie haben sie selbst nicht erlebt und erinnern sich an fast gar nichts. Hier liegt die Schuld unserer Generation. Wir müßten sie unterrichten, ihr Bewußtsein schärfen. Wie verbringen Sie Ihre Tage im Gefängnis? Ich versuche, eine gewisse Selbstdiziplin zu bewahren. Um acht Uhr stehe ich auf, mache Gymnastik und dusche. Gegen zehn Uhr empfange ich Besuche. Nach dem Mittagessen erledige ich meine Korrespondenz und lese ein wenig. Zur Zeit kommt das nicht so häufig vor, dafür sehe ich fern. Nachmittags empfange ich wieder Besuch, gegen sieben Uhr esse ich zu Abend, sehe wieder fern und gehe schließlich um Mitternacht ins Bett. Nach draußen komme ich nie. Die Zelle ist kalt, und - noch schlimmer - es ist so schwierig, aus dem Fenster zu schauen. Ich muß dazu auf einen Stuhl steigen. Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus? Ich möchte hier raus. Aber meine Kameraden und ich wollen mit erhobenem Kopf hier rausgehen. Wir wollen nicht, daß man uns verzeiht. Das sage ich, obwohl ich mir darüber im klaren bin, daß es vermutlich in unserem Fall früher oder später eine Amnestie geben wird. Persönlich würde ich es vorziehen, hier noch zehn oder zwanzig Jahre zu bleiben, aber dann mit erhobenenem Kopf rauszugehen. Mit all meiner wiedererlangten Würde. Natürlich ist meine militärische Karriere beendet. Ich denke daran, ein weiteres Buch zu schreiben, die Geschichte unserer Revolution vom 25. April bis zum 25. November 1975, dem Datum der ersten gegenrevolutionären Bewegung. Es gibt noch viel zu tun in diesem Land. Das ist meine Art, dazu beizutragen. Das Gespräch führte Rita Ciotta