: Der Demjanjuk–Prozeß ist abgeschlossen
■ Heute erwartet den Angeklagten das Strafmaß / Experten beurteilen das Verfahren als „absolut fair“
Nach über 100 Verhandlungstagen wird voraussichtlich heute in Jerusalem das Strafmaß im Prozeß gegen John Demjanjuk bestimmt. Der in allen Punkten der Anklage für schuldig befundene Angeklagte muß möglicherweise sogar mit der Höchststrafe, dem Tode, rechnen. Mit diesem Verfahren ist ein Kapitel in der Judenvernichtung aufgerollt worden, das bis heute kaum untersucht wurde: die Funktion der „Trawniki“, sogenannter Hilfswilliger, die den SS–Schergen zur Hand gingen.
Nicht Israel hat den heute mit der Verkündung des Strafmaßes zu Ende gehenden Prozeß gegen John Demjanjuk initiiert. Es waren die amerikanischen Behörden, die Israel um ein Auslieferungsgesuch baten, weil es praktisch unmöglich war, Demjanjuk einfach auszuweisen - auch nach dem Entzug seiner US–Staatsbürgerschaft. Israels damaliger Justizminister Nissim konnte damals noch nicht wissen, wie schwierig es sein würde, die Identität Demjanjuks mit „Iwan dem Schrecklichen“ aus dem Vernichtungslager Treblinka zu beweisen. Genau dieser Punkt aber war es, der bei dem Prozeß in Jerusalem die zentrale Rolle spielte. Im Laufe von mehr als einem Jahr und über einhundert Sitzungen hatte das Gericht zu entscheiden, ob Demjanjuks Behauptung, nicht „Iwan der Schreckliche“ zu sein, glaubhaft sei. Sein Alibi und die Aussagen der Zeugen der Verteidigung wurden schließlich einstimmig verworfen und Demjanjuk für schuldig befunden, am Mord von 800.000 Menschen, vor allem Juden, aktiv beteiligt gewesen zu sein. Von entscheidender Bedeutung für diesen Schuldspruch war das umstrittene „Trawniki–Dokument“, die Bestätigung, daß Demjanjuk im SS–Lager Trawniki ausgebildet worden war. Dieses Papier war dem Jerusalemer Gericht von der Sowjetunion zur Verfügung gestellt worden. Und schließlich glaubte das Gericht den wenigen überlebenden Augenzeugen aus Treblinka, die in dem Angeklagten John Demjanjuk „Iwan den Schrecklichen“ wiedererkannten, der in Treblinka die Gaskammern bediente. Während des gesamten Prozeßverlaufes blieb Demjanjuk dabei, nicht mit „Iwan dem Schrecklichen“ identisch zu sein. Er sei nie in Treblinka gewesen. Auch während der erschütternden Zeugenaussagen über die Vorgänge in Treblinka blieb der Angeklagte mit wenigen Ausnahmen unbeteiligt. „Nach allen Zeugenaussagen und dem langen Kreuzverhör muß ich zu dem Schluß kommen, daß Sie Iwan der Schreckliche sind“, so der Staatsanwalt am Ende des Kreuzverhörs im Januar. Demjanjuks Antwort: „Wo sind Ihre Fakten? Ihnen gelingt es nur, mich zu verwirren. Aber das ist kein Beweis.“ Als entscheidend für den Prozeßverlauf wirkte sich aus, daß mehrere Aussagen von Experten der Verteidigung widerlegt wurden. Eine Zeugin, die die Unterschrift des Angeklagten auf der SS–Kennkarte als gefälscht bezeichnet hatte, mußte zugeben, nicht das notwendige Fachwissen für ein Schriftgutachten zu besitzen. Auch eine andere Expertin, die den Ausweis ingesamt als Fälschung bezeichnet hatte, mußte diese Angabe revidieren. In den israelischen Medien wurde dem Verfahren breiter Raum eingeräumt. Tägliche Radio– und Fernsehübertragungen informierten über den Prozeßverlauf. Der Sprecher des Sondergerichts gab bekannt, daß insgesamt fast 30.000 Menschen den Prozeß als Besucher miterlebten. Dabei waren es vor allem Überlebende des Holocaust, die Interesse an den vielen Einzelheiten zeigten. Der Mehrheit der Bevölkerung Israels, die aus den Ländern des Orients und des Maghrebs kommen, sagte der Demjanjuk–Prozeß dagegen nicht viel. Es war die „Banalität des Zweifels“, so Tom Segev, einer der ständigen Prozeßbeobachter, die das Verfahren bestimmte - Zweifel an der wahren Identität des Angeklagten. „Auch wenn man Demjanjuk aufhängt, wird dieser Zweifel nicht mit ihm aus der Welt geschafft.“ Amos Wollin / Klaus Hillenbrand
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen