Vor dem SPD–DGB–Spitzengespräch

■ Die SPD sucht eine Beilegung des Konflikts um Lafontaines Thesen / Hensche (IG Druck) erwartet allenfalls „Waffenstillstand“ / Gewerkschafter „betroffen“ über Unterstützung prominenter SPDler für Lafontaine

Bonn (dpa/ap) - Die Sozialdemokraten drängen auf eine gründliche Beilegung des Konflikts mit den Gewerkschaften. Unmittelbar vor dem für gestern abend geplanten Spitzengespräch mit dem DGB und den sozialdemokratischen Chefs der Einzelgewerkschaften riefen führende SPD–Politiker am Montag dazu auf, wieder aufeinander zuzugehen und nach den Anfeindungen der letzten Wochen das Kriegsbeil zu begraben. Von Gewerkschaftsseite kamen jedoch erneut scharfe Angriffe gegen Oskar Lafontaine. Der SPD–Vorsitzende Hans– Jochen Vogel zeigte sich optimistisch, daß das Verhältnis zu den Gewerkschaften wieder verbessert werden kann. Beide müßten wissen, daß sie dort nichts erreichten, wo sie unterschiedliche und gegensätzliche Standpunkte einnähmen, sagte er im Deutschlandfunk. Für eine Beseitigung der Spannungen sei allerdings jetzt „Überzeugungsarbeit notwendig“. Beide müßten etwas grundsätzlicher über ihr Verhältnis und ihren Umgang miteinander nachdenken, sagte Vogel. Vieles sei bislang für selbstverständlich gehalten worden, was durch die gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen in dem Maße nicht mehr stimme. Dagegen erwartete der stellvertretende Vorsitzende der IG–Druck, Detlef Henscher, vor dem Spitzengespräch mit der SPD „Waffenstillstand“. An einem Abend ließen sich die Schwierigkeiten nicht aus dem Weg räumen. Die Gewerkschafter seien nicht allein wegen der „ärgerlichen, falschen“ Thesen Lafontaines zur Arbeitszeitverkürzung aufgebracht, sondern vielmehr besonders betroffen darüber gewesen, daß sich prominente Sozialdemokraten dem stellvertretenden SPD–Vorsitzenden angeschlossen hätten, sagte Hensche. Die SPD habe sich aus den derzeitigen Verteilungskämpfen zurückgezogen und wichtige Sozialdemokraten zeigten die Bereitschaft, nur noch das verteilen zu wollen, was der Arbeiterschaft in den Verteilungskonflikten an „materiellen Brosamen“ bleibe, bemängelte Hensche. Die gegen die SPD gerichteten Reden der Gewerkschafter zum 1.Mai gäben die Stimmung in der Gewerkschaftsbasis wieder. „Es gibt intern Zoff“, sagte Hensche. Lafontaine für Grundsicherung Bonn (taz) - Lafontaine seinerseits wandte sich gegen den „Mißbrauch“ seiner Vorschläge durch konservative Politiker. Es sei „völlig absurd“, nur den Gewerkschaften die Beseitigung der Arbeitslosigkeit als Aufgabe zuzuweisen. Wenn die Unternehmer ihre Gewinne nicht zur Disposition stellten, „ginge das Geschäft nicht“. Allerdings müsse in der Privatwirtschaft die Schaffung neuer Arbeitsplätze als Gegenleistung zum Verzicht auf Lohnausgleich von der „Produktmarge“ abhängig sein. Es wäre „systemfremd“, so Lafontaine, wenn unabhängig vom Produktivitätszuwachs festgelegt werde, wieviele Arbeitsplätze in einem Betrieb neu entstehen müßten. Lafontaine trat gestern gemeinsam mit Inge Wettig–Danielmeier in einer Pressekonferenz auf. Als Vorsitzende der SPD–Programmkommission forderten beide gemeinsam die Einführung des Sechs–Stunden– Tags, um den Frauen mehr Zugang zur Erwerbsarbeit zu ermöglichen und die Erwerbstätigen stärker in die Hausarbeit einzubeziehen. Dies werde gleichzeitig, so Lafontaine, zu einer „durchgreifenden Umverteilung der Einkommen führen“. Auch Inge Wettig–Danielmeier sprach sich für eine soziale Grundsicherung aus, obwohl sie noch vor wenigen Wochen zusammen mit ihren Vorstandskolleginnen Wieczorek– Zeul und Däubler–Gmelin Kritik an diesem Konzept angemeldet hatte: Eine ausreichende Grundsicherung für Frauen sei nicht zu finanzieren, hieß es damals, und geringe Beträge würden eher die bestehende Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen zementieren. Auf der gestrigen Pressekonferenz, die offensichtlich der Demonstration von Einigkeit dienen sollte, sagte Wettig– Danielmeier auf Nachfrage vage, sie sei nicht sicher, ob sie mit Lafontaine voll übereinstimme, aber das bisherige soziale Sicherungssystem sei „zu einseitig an der Erwerbsarbeit orientiert“. Charlotte Wiedemann