Sri Lankas Süden - ein Pulverfaß

■ Der Friedensvertrag mit Indien hat der Insel keine Ruhe gebracht - im Gegenteil: Während im Norden die „Tamil Tigers“ weiterkämpfen, wächst im Süden ein neuer Chauvinismus / Mit systematischen Attentaten terrorisiert die sinhalesische JVP–Partei die Befürworter des Vertrags - darunter Sri Lankas Regierung

Aus Sri Lanka Walter Keller

Bei Tag und auf offener Straße war Harsha Abeywardene, Vorsitzender der regierenden United National Party (UNP), in Colombo erschossen worden. Wahrscheinlich die prompte Antwort der sinhalesisch–chauvinistischen Volksbefreiungsfront (JVP) auf Präsident Gayawardenes markige Ankündigung „Wir werden diese Bestie töten, der Terrorismus wird binnen eines Monats ausge merzt sein“. Denn diesmal meinte Gayawardene nicht tamilische Separatisten. Abeywardene war das hundertfünfzigste, zweihundertste oder dreihundertste Opfer - keiner weiß es genau - einer Serie von politisch motivierten Morden, mit denen die JVP seit Monaten den bisher relativ friedlichen Süden Sri Lankas zunehmend in ein Pulverfaß verwandelt. Während indische Soldaten im Norden und Osten die Befriedung der tamilischen und ethnisch gemischten Landesteile mit aller Härte durchzusetzen versuchen, morden im Süden Sri Lankas Sinhalesen Angehörige derselben Volksgruppe. Ihre Kader machen Jagd auf Regierungspolitiker, Funktionsträger der Regierung und Personen, die das Abkommen mit Indien unterstützen oder sich positiv dazu geäußert haben. Letztes prominentes Opfer war Ende Februar der ehemalige Schauspieler und Führer der lankanischen „Volkspartei“ (SLMP), Vijaya Kumaranatunge. Der bei vielen Lankanern beliebte Politiker war maßgeblich am Enstehen der erst vor wenigen Wochen entstandenen United Socialist Alliance beteiligt, einem Bündnis der während der letzten Jahre zersplitterten, überwiegend von Sinhalesen getragenen Links– und linkslibera len Parteien. Diese hatten sich für einen Ausgleich mit Tamilen eingesetzt und deshalb - trotz zahlreicher Vorbehalte - das Abkommen mit Indien befürwortet. JVP zunehmend populär Seit dem Friedensvertrag vom Sommer letzten Jahres macht die in den sechziger Jahren gegründete JVP wieder von sich reden. Sie ist Sammelbecken für die Sinhalesen, die gewalttätig gegen Zugeständnisse an Tamilen, die Anwesenheit der indischen Truppen und das vermeintliche „Ende der Souveränität Sri Lankas“ protestieren. Die zunehmende Popularität der JVP innerhalb der sinhalesischen Bevölkerung ist aber auch Ausdruck wachsender Unzufriedenheit mit der Regierungspartei, der die Lösung der vielschichtigen politischen und wirtschaftlichen Probleme des Landes nicht mehr zugetraut wird. Seit fast 11 Jahren hat es durch Aussetzung keine Parlamentswahlen mehr in einem Land gegeben, dessen Bevölkerung bisher regelmäßig alle vier oder fünf Jahre die jeweilige Oppositionspartei an die Macht brachte. Viele, die heute zwischen 20 und 30 Jahre alt sind, haben noch nie an einer Wahl teilnehmen können. Das 1977 noch demokratisch gewählte Parlament ist mit seiner momenta nen 7/8 Mehrheit zugunsten der UNP schon lange nicht mehr repräsentativ. Seit ihrer Gründung hat die JVP zahlreiche ideologische Wandlungen durchgemacht. Besonders auffallend sind die vielen programmatischen Änderungen der Partei in bezug auf die tamilische Minderheit. Von 1972 bis 1981 war ihre Politik diesbezüglich von einer liberalen Haltung gekennzeichnet. Noch auf dem Parteitag 1986 wurde eine Resolution verabschiedet, die der Minderheit das Recht auf Selbstbestimmung und Sezession einräumte. Damit wich die JVP von ihrer ursprünglich anti–tamilischen und anti–indischen Position ab. Nach 1971 versuchte die JVP damalige Regierung von Frau Bandanaike durch einen gewalttätigen Aufstand, der von Teilen der ländlichen Jugend getragen wurde, zu stürzen. Viele der damals verhafteten Teilnehmer der Jugendrevolte wurden erst mit der Machtübernahme der UNP 1977 begnadigt. Zum gleichen Zeitpunkt hob die neue Regierung auch das Verbot der Partei auf, das seit dem Aufstand in Kraft war. 1983 wurde die JVP erneut wegen angeblicher - bisher jedoch nicht bewiesener - Beteiligung an den anti–tamilischen Ausschreitungen im Juli und August desselben Jahres verboten und in den Untergrund abdrängt. Erneut kam es zu einem Rückzieher auf alte sinhalesisch–chauvinistische Positionen. Alle ehemals verbreiteten Parolen vom „Aufbau des Sozialismus“ verstummten jetzt vollends. „Grüne Tiger“ für den Frieden? Die Frage, wie derzeit die Befriedung des Südens zu erreichen wäre, beschäftigt die Gemüter. Während von einigen die Aufhebung des Verbots der JVP befürwortet wird, um sie wieder „in den politischen Prozeß zu integrieren“, hat sich die Regierung praktisch schon für ein härteres Vorgehen gegen die Organisation entschieden. Die lankanische Armee und Spezialpolizeieinheiten, die in den Krisengebieten im Norden und Osten zum Teil durch die indischen Truppen ersetzt wurden, stehen nun zur Bekämpfung der JVP in den südlichen Landesteilen zur Verfügung. Hier könnte die JVP eine ähnliche Rolle einnehmen, wie sie den „Liberation Tigers of Tamil Eelam“ während der letzten Jahre durch das brutale Vorgehen der Streitkräfte in den tamilischen Gebieten zugekommen war. Einige Beobachter glauben jedoch, daß „die zu 100 Prozent aus Sinhalesen bestehenden Streitkräfte in den mehrheitlich sinhalesischen Gebieten nicht mit gleicher Härte vorgehen“ werden. Aus diesem Grund hat die Regierung vorsorglich zum Schutz von UNP–Politikern, Funktionsträgern und Sympathisanten Parteimilizionäre ernannt, die im Volksmund in Anlehnung an die grüne Parteifarbe der UNP und die tamilischen „Befreiungstiger“ als „green tigers“ bezeichnet werden. Vollends chaotisch werden die Verhältnisse, wenn sich Meldungen über eine angeblich bestehende Allianz der sinhalesisch– nationalistischen „Liberation Tigers of Tamil Eelam“ bestätigen sollten. Nach dem Motto „der Feind meines Feindes ist mein Freund“ haben beide Gruppen durchaus Gemeinsamkeiten: Für sie sind Indien und die Regierung im Colombo die Hauptgegner. Viele sehen die einzige Möglichkeit zur Lösung der Probleme in Neuwahlen. Ob sich Jayawardene auf Präsidentschafts– und Parlamentswahlen, die eigentlich Ende diesen bzw. Mitte nächsten Jahres stattfinden müßten, einläßt, ist äußerst fraglich. Vielleicht muß Rajiv Gandhi die indischen Truppen demnächst auch in den Süden Sri Lankas schicken, um das politische Überleben des Präsidenten und seiner Partei zu gewährleisten.