Nur weg aus dem Lande Ceausescus

■ Rumänische Flüchtlinge in Ungarn können auf die Hilfe der ungarischen Bevölkerung und der Regierung hoffen/ Kirchliche und private Organisationen kümmern sich um die 10.000 Rumänen in Budapest

Aus Budapest Roland Hofwiler

Seit neuestem gibt es einen Trick, wie man die Kontrolleure in der ungarischen U–Bahn reinlegen kann. Man redet einfach nur auf rumänisch oder mit einem Kauderwelsch, das nach Rumänisch klingt, und schon ist einem ein Schulterklopfen der Blaubefrackten gewiß. „Ach, wieder so ein armer Rumäne“ murmelt dann der Kontrolleur und nimmt es plötzlich mit seiner Dienstpflicht nicht mehr ganz so genau. Auch mein Bekannter Gornel Rosca freut sich über die Verständniswelle in Ungarn und der Freundlichkeit der Bevölkerung. Noch vor einigen Monaten, als er hierher nach Budapest kam, achtete er sehr darauf, „keinen falschen Schritt“ zu machen. Er wollte nicht auffallen. Mit seiner Cordjacke und seiner Hose jedoch, die zwar dem letzten Bukarester Chic entsprachen, war er für die mit westlichem Geschmack urteilenden Ungarn trotzdem schon meilenweit als „Menekueltek“, als Rumänienflüchtling, auszumachen. Heute hat er gelernt, diese Rolle anzunehmen und sich mit Hilfe der Ungarn wie die anderen zehntausend Landsleute durchzuschlagen. Und dazu gehört auch, hin und wieder schwarz zu fahren. In der Mehrzahl sind die Flüchtlinge Angehörige der ungarischen Minderheit in Rumänien, die heute noch über zwei Millionen Menschen zählt und in Siebenbürgen wohnt. Anders als die Deutsch– sprechende Minderheit, von denen viele mit Unterstützung der Bundesregierung in die Bundesrepublik übergesiedelt sind, hat es für die Ungarn bisher eine solche offizielle Möglichkeit nicht gegeben. Unzufriedenheit mit den wirtschaftlichen Verhältnissen liegt auch nur an zweiter Stelle der Fluchtgründe. Vor allem ist es die seit Jahren verstärkte Kampagne zur Zwangsassimilie rung, die die ungarische Minderheit in den Nachbarstaat treibt. Heute sind es aber nicht mehr nur ungarisch–stämmige Rumänen, die sich in Budapest einfinden, zunehmend sind es auch die Rumänisch–Sprechenden, die über die grüne Grenze fliehen oder ganz offiziell mit einem Touristenvisum rüberkommen. Rotarmisten helfen Flüchtlingen Die Flucht ist nicht immer ungefährlich, denn an der Grenze wird auch scharf geschossen. Zuletzt sind nach Informationen der Untergrundzeitschrift „Infodienst der Siebenbürger Ungarn“ in der Nacht vom 5. auf den 6. März sogar rumänische Soldaten auf ungarisches Gebiet eingedrungen, um eine Gruppe von Flüchtlingen zu verfolgen. Erst sowjetische Soldaten aus der nahegelegenen Kaserne von Gyula brachten die wild um sich schießenden Rumänen zum Halten und trieben sie wieder über die Grenze zurück. „Ja, die Russen haben Ceausescu eins ausgewischt“, freut sich Rosca und reibt sich die Hände. Für manche Rumänen stellt die Sowjetunion noch die einzige Hoffnung auf eine Änderung ihrer Situation dar. „Lieber die Russen im Land, als Ceausescu auf dem Thron“, ist zum Beispiel eine, wenn auch hinter vorgehaltener Hand, ausgedrückte Meinung zwischen Tesawar und Bukarest. Der Haß der Flüchtlinge auf den Clan ihres „Führers“ ist in Budapest grenzenlos. Zerrissene Familien „ Der Ceausescu gehört einfach umgelegt, sonst bewegt sich gar nichts“, ist die Meinung eines Mannes, der seine Frau und seine Kinder in Brasov (Kronstadt) zurückgelassen hat. Erst vor kurzem erfuhr er, daß seine Frau im Gefängnis ist, und seine beiden Töch ter in ein Kinderheim gebracht wurden. In den Schlangen vor dem Flüchtlingsschalter des Roten Kreuzes in der Budapester Aranystraße, vor dem Freitagsgebet in der Kirche von Rakosszentmihaly oder nach der Beichtstunde des emigrierten Pfarrers Laszlo Donath, überall werden von den „Menekueltek“ ziemlich unchristlich die Rachegelüste geäußert. Und dies um so mehr, da für die nächste Zeit kaum mit einem Wiedersehen mit Verwandten und Freunden zu rechnen ist. „Zerrissene Familien bilden die Regel. In etwa der Hälfte der Fälle ließen die Flüchtlinge engste Familienangehörige zurück ohne Aussicht darauf, sie bald wiederzusehen. Die meisten flüchten Hals über Kopf, ohne sich über die Konsequenzen im klaren zu sein,“ erklärt Pfarrer Donath die Situation. „Rund 2.000 Kinder, die ihr in Rumänien zurückgelassen habt, sind das Kreuz, das ihr zu tragen habt“, predigt denn auch Pastor Geza Nemeth in seiner Kirche. Hier in dem calvinistischen Zentrum können die Flüchtlinge auf bescheidene Gaben hoffen. Die Spenden der ungarischen Bevölkerung reichen aus, für Kleidung und Möbel zu sorgen. Ein Taschengeld von 500 bis 1.000 Forinth ( 18 bis 35 DM) werden verteilt, und Kaffee, Tee und Brote gereicht. Wichtiger für die Flüchtlinge ist noch, daß die Calvinisten auch bei der Suche nach Unterkunft und Arbeit helfen. Diplomatischer Konflikt Der Staat drückt bei dieser Tätigkeit beide Augen zu, ist es doch noch nicht lange selbstverständlich, daß Flüchtlinge aus einem sozialistischen „Bruderland“ zuhauf in das Land kommen. Die ungarische Regierung kann sich der Meinung nicht mehr verschließen, daß die Repression wegen der Rumänisierung im Lande Ceausescus für die ungarische Minderheit unerträglich geworden ist. Und seitdem sich diese Meinung in der Führung durchgesetzt hat, wird auch auf diplomatischer Ebene mit Kritik nicht mehr gespart. Erst am Dienstag letzter Woche hat der ungarische Chefdelegierte vor der KSZE–Folgekonferenz in Wien unverholen Rumänien wegen seiner Menschenrechts– und Minderheitenpolitik kritisiert. Er prangerte den rumänischen Beschluß von Anfang dieses Monats an, alle ungarischen und deutschen Ortsnamen in dem Vielvölkerstaat durch rein rumänische zu ersetzen. Als am Wochenende Regierungsdelegationen beider Länder in Budapest aufeinandertrafen, reichte es nur noch zu einem dürftigen Kommunique, das eher die Widersprüche auf– als zudeckte. Die ungarische Presseagentur mti unterstrich zwar, daß die Gespräche in einer „offenen Atmosphäre“ stattgefunden hatten, daß aber die ungarische Regierung immer noch auf eine Antwort auf die von ihr gemachten Vorschläge warte. Und die bezogen sich auf die Verbesserung der Lebensbedingungen im Nachbarland, auf die kulturellen Rechte der Minderheiten, auf Reisemöglichkeiten und dem freien Verkauf der ungarischen Presse in Siebenbürgen. Die Stimmung im Land drückt wohl die Meinung einer regierungsunabhängigen Intellektuellengruppe am besten aus, die am Dienstag sich im Hause des Lajos Fur getroffen hatte. Da wird die Weltöffentlichkeit dazu aufgerufen, sich für die zwei Millionen Ungarn in Rumänien einzusetzen und der Rumänisierung Einhalt zu gebieten. Alle Rumänen litten unter dem „totalitären Regime“, fügten die Mitglieder des „Demokratischen Forums“ hinzu, doch den Ungarn ginge es zur Zeit am schlechtesten. „Nicht nur der Druck der Weltöffentlichkeit, auch unser eigener muß dazu beitragen, den Conducatore zu stürzen“, sagt Cornel Rosca und meint mit „uns“ die illegale „Bewegung für ein freies Rumänien“, deren Auslandssprecher er seit einigen Wochen ist. Diese Bewegung setzte sich nach dem Aufstand in Brasov (Kronstadt) das Ziel, die politischen Verhältnisse zu verändern. Der Flüchtlingsstrom, so ein anderer politischer Freund der Organisation, sei zwar auch positiv, weil er der Welt zeige, wie dramatisch die Situation in Rumänien wirklich sei, doch komme es auch darauf an, im Innern der Staatsgewalt etwas entgegenzusetzen.