Showdown in der Jerusalemer Hanefiin–Street

■ Israelische Behörden schlossen 23 palästinensische Geschäfte in Ostjerusalem / 14 Ladenbesitzer festgenommen / Vorräte an Grundnahrungsmitteln wurden in der Nacht zuvor abtransportiert / Tauziehen um politische Symbole

Aus Jerusalem Beate Seel

Wenn man die Hanefiin–Straße hinunter zum Damaskus–Tor geht, blickt man auf die Goldene Kuppel der Omar–Moschee und die Mauer der Altstadt. Zur Rechten erstreckt sich eine Zeile meist zweistöckiger Häuser, Geschäft reiht sich an Geschäft, zur Linken ein großer Parkplatz, von dem aus auch die Sammeltaxis nach Hebron und Nablus in der Westbank abfahren. Doch die Rufe der Taxifahrer, das Drängen und Schieben von Fahrgästen und Kunden fehlt an diesem Montagnachmittag völlig. Die Straße ist gesperrt, die Läden sind von der Polizei abgeriegelt, Mannschaftswagen mit Soldaten in Kampfausrüstung und ein Wasserwerfer sind aufgefahren. Berittene Polizei drängt die Zuschauer zurück, die sich auf der Straße und am Rande des Parkplatzes gesammelt haben. Es ist merkwürdig ruhig. Schweigend beobachtet die Menge, wie die Polizei Geschäft um Geschäft schließt und die Inhaber festnimmt, die sich scherzend oder in ausgesprochen stolzer Haltung abführen lassen. Nur als der graue Bus mit den Gefangenen abfährt, kommen bestärkende Rufe und Klatschen auf. Die Polizei drängt die Umstehenden weiter zurück, die Korrespondentin entkommt knapp einem kurzen Wasserwerfereinsatz, die Straße wird wieder für den Verkehr freigegeben, die Menge löst sich in diskutierende Grüppchen auf, zerstreut sich. Der Showdown an diesem Nachmittag war absehbar. Bereits am Samstag hatten 23 der 38 Geschäftsleute eine Anweisung der Militärbehörden erhalten, ihre Läden zukünftig zwischen 8.30 Uhr und 19 Uhr zu öffnen, entgegen einer Order des palästinensischen Aufstands in den besetzten Gebieten, die die Geschäftszeiten auf die Zeit von 14 bis 17 Uhr festgelegt hatte. Doch die Ladenbesitzer wiesen dieses Ansinnen einhellig zurück. Ungeachtet des Versuchs der Behörden, den seit vier Monaten währenden Streik zu brechen, hatten am Montag 14 der 23 betroffenen Kaufleute pünktlich um 14 Uhr ihre Geschäfte geöffnet. Ihnen droht nun aufgrund einer Notstandsverordnung aus der britischen Mandatszeit eine Haftstrafe bis zu zwei Jahren. Doch sie haben vorgesorgt. Wie ein Ladenbesitzer aus der nahegelegenen Nablus Road berichtet, wurden in der Nacht zuvor Vorräte an Reis, Mehl, Zucker und Oel mit Lastwagen abtransportiert. Dies betrifft vor allem die Geschäfte, die Zulieferbetriebe für die Läden in der Altstadt sind. „Viele Geschäftsleute wohnen in Beit Hanina“, sagt er. „Sie können jetzt den Verkauf von zuhause aus organisieren. Wer jemanden von ihnen kennt, erzählt das weiter. So können sich die Leute versorgen. Manche Ladenbesitzer fahren auch mit Kleintransportern herum und verkaufen die Grundnahrungsmittel direkt.“ Dennoch ist er etwas be sorgt. Die Drohung von zwei Jahren Gefängnis habe keiner ernst genommen, meint er. Anders als bei ähnlichen Vorkommnissen in der Westbank wurden die Geschäfte nicht gewaltsam aufgebrochen oder zugeschweißt, anstelle des Militärs wurde Polizei eingesetzt. Die Behörden bemühen sich, in ihrem Vorgehen einen Unterschied zwischen den besetzten Gebieten und dem annektierten, „wiedervereinigten“ Ostjerusalem zu machen. Das Ziel bleibt jedoch das gleiche: zu demonstrieren, wer die Straße beherrscht. Jeder Anschein, daß es zwei Autoritäten gibt, die Israels und die der palästinensischen Befreiungsorganisation, soll tunlichst vermieden werden. So geht es nicht nur im Falle des Konflikts um die Öffnungszeiten der Geschäfte, sondern auch um politische Symbolik. Das gleiche Tauziehen läßt sich im Falle entlegener, relativ ruhiger Dörfer in der Westbank beobachten, die die palästinensische Fahne hissen, sich für „befreit“ erklären und damit den Einsatz des israelischen Militärs provozieren.