Bayer–Pestizid erneut unter Verdacht

■ Rätselhafte Erkrankungen in Tübingen durch verbotenes Pflanzenschutzmittel ausgelöst? / Fernsehmagazin „Report“ berichtet über Pestizidrückstände im Boden / Wirkstoff wird nur vom Bayer–Konzern verwendet

Von Gerd Rosenkranz

Berlin (taz) - Der Tod einer Frau im vergangenen Sommer und eine Serie von etwa 30 bis 35 weiteren rätselhaften Erkrankungen in der Umgebung von Tübingen sind möglicherweise auf Vergiftungen durch ein in der Bundesrepublik verbotenes Pflanzenschutzmittel zurückzuführen. Dies berichtete das Fernsehmagazin Report am Dienstag abend. Eine Tübinger Ärztin hatte damals als erste den Verdacht geäußert, daß auf benachbarten Feldern gespritze Pestizide für den Tod einer 39jährigen verantwortlich sein könnten. Die Ärztin war selbst chronisch erkrankt und schließlich mit akuter Atemnot, Kreislaufbeschwerden und 40 Grad Temperatur in die Universitätsklinik Tübingen eingeliefert worden. In einer im Auftrag von Report untersuchten Bodenprobe wurde nun der Wirkstoff eines hochgiftigen landwirtschaftlichen Spritzmittels gefunden. Bei dem Wirkstoff handelt es sich nach Angaben des Fernsehmagazins um „Fenamiphos“, eine ausschließlich vom Bayer–Konzern verwendete Substanz zur Herstel lung des Spritzmittels „Nemacur“. Dieses Pestizid ist in der Bundesrepublik nicht zugelassen. Nach Einschätzung des Toxikologen Prof.Hans–Uwe Wolf von der Universität Ulm ist es zwar „prinzipiell nicht möglich, aufgrund der Symptome konkret ein oder mehrere Mittel zu benennen, aber die Krankheitssymptome könnten durch Phosphorsäureester–Pestizide verursacht worden sein“. Die Ärztin hatte bei zahlreichen PatientInnen Symptome wie Kopfschmerzen, Gelenkschmerzen, Augentränen, Husten, Halsschmerzen und Kreislaufprobleme festgestellt und dadurch im vergangenen Jahr ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Tübingen aussgelöst. Nach Angaben der Ermittler konnte bisher der Nachweis eines Zusammenhangs zwischen dem Pestizid und dem Tod der Frau nicht erbracht werden. Das Bayer–Pestizid „Nemacur“ war vor einigen Jahren in Verdacht geraten, für die spanische Giftkatastrophe von 1981 verantwortlich zu sein, an der bis heute über 600 Menschen gestorben sind. In Madrid stehen gegenwärtig 40 Ölindustrielle und -Händler wegen des Verkaufs von gepanschtem Speiseöl vor Gericht. Weder die „Öl–These“ noch die „Pestizid–These“ konnten jedoch bewiesen werden.