Keine Kränze für Tschernobyl–Opfer

■ Gericht verbietet Kranzniederlegung am WAA–Bauzaun Bundesweite Protestaktionen am Tschernobyl–Tag

München/Berlin (taz/ap) - Zum zweiten Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl haben gestern in vielen Städten der Bundesrepublik AKW–Gegner mit Blockaden, Demonstrationen und Die–Ins gegen die „kriminelle Energiepolitik“ der Bundesregierung protestiert. Allein in Hamburg zählte die Polizei 60 dezentrale Aktionen. Mit einem Leichenteppich demonstrierten 50 AKW–Gegner vor dem Atommeiler in Neckarwestheim. Die Polizei beendete die Blockade mit Androhung der Räumung. Weitere Aktionen fanden unter anderem in Berlin, München, Gorleben, Groß–Gerau, Maintal, Dreieich statt. Am Samstag sind Blockaden an den AKW–Standorten in Brunsbüttel, Brokdorf und Krümmel geplant. Ein Protestmarsch zum Zaun der Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf wurde dagegen gerichtlich gestoppt. Die WAA bleibt grundgesetzfreie Zone. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) bestätigte gestern das vom Landratsamt Schwandorf erlassene Verbot für eine Demonstration zum Bauzaun. Die Oberpfälzer Bürgerinitiativen wollten nach einer Kundgebung auf dem Marktplatz von Wackersdorf in einem Schweigemarsch zum WAA–Gelände ziehen und dort am „Roten Kreuz“, etliche Meter vom Bauzaun entfernt, Kränze für die Opfer der Tschernobyl–Katastrophe niederlegen. Doch nur die Kundgebung wurde genehmigt. Begründet wurde das Verbot des Schweigemarsches vom VGH zum einen damit, daß mehr Teilnehmer zu erwarten seien, als die Veranstalter angeben, und die Polizei dann nicht mehr in der Lage sei, die Gewalttäter aus der Menge zu isolieren. Zum anderen glaubt das Gericht, daß Brände gelegt werden könnten. „Das schürt Wut und Verzweiflung. Wir werden in die Illegalität getrieben, wenn es nicht mehr möglich ist, eine solche Aktion mit friedlichen Charakter durchzuführen“, so die Sprecherin der BI Fortsetzung auf Seite 2 Irene Maria Sturm empört fest. Seit zwei Jahren existiert ein permanentes Demonstrationsverbot rund um den Bauzaun. Das Urteil hob eine zuvor erteilte Erlaubnis der Demonstration durch das Verwaltungsgericht Regensburg wieder auf. Die Regensburger Richter hatten ihre Entscheidung für die Demonstration mit der Feststellung begründet, daß das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit auch das Recht umfasst, sich dort zu versammeln, wo es die Veranstalter für wünschenswert halten. Ein Verbot für Demonstrationen in der Nähe des Bauzauns sei deshalb nicht aufrechtzuhalten. Außerdem sei ein pauschales Verbot von Demonstrationen in der Nähe des Bauzauns mit der vom Bundesverfassungsgerichts vertretenen Auffassung zur Versammlungsfreiheit unvereinbar. Der Ost–Berliner Pfarrer Hans Simon hat am späten Montag abend in einem Gedenkgottesdienst zum zweiten Jahrestag von Tschernobyl die DDR zu mehr Einsatz für die Umwelt aufgerufen. Simon sagte vor mehr als 200 Zuhörern in der Zionskirche: Die Katastrophe sei ein eindeutiges Signal zur Umkehr gewesen. Es sei an der Zeit, „ethische Markierungspunkte im Umgang mit der Natur“ zu setzen. Simon kritisierte, daß die Kernenergie langfristig die einzige Alternative in der DDR sei. Es sei zu bedauern, daß es keine öffentliche Diskussion über die Atomenergie in der DDR gebe.