US–Gerichtshof rüttelt an Bürgerrechten

■ Konservative Mehrheit will Antidiskriminierungsgesetz überprüfen / Anlaß ist die erfolgreiche Klage einer Schwarzen gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz

Aus Washington Stefan Schaaf

Der Oberste Gerichtshof der USA hat am Montag entschieden, ein grundlegendes Urteil über Grundrechte von Schwarzen und Minderheiten aus dem Jahre 1976 zu überprüfen. Die überraschende Entscheidung, die mit fünf zu vier Stimmen gefällt wurde, kam mit der Stimme des erst vor kurzem ernannten neuen Supreme–Court–Richters Anthony Kennedy zustande. Sie schürte Befürchtungen liberaler Kräfte in den USA, die neue konservative Mehrheit im Obersten Gerichtshof werde Bürgerrechte und frühere liberale Entscheidungen des Supreme Court einzuschränken versuchen. In dem zu überprüfenden Urteil aus dem Jahre 1976 ging es um die Frage, ob private Schulen ge zwungen werden können, ihre Tore auch schwarzen SchülerInnen zu öffnen. Damals urteilte der Oberste Gerichtshof mit sieben zu zwei Stimmen, daß dies auf dem Weg der Zivilklage erzwungen werden könne. Der Richterspruch hatte aber eine breitere Bedeutung, denn er schuf ein weitgefaßtes Klagerecht gegen Diskriminierung. Das Urteil von 1976 gründete sich auf ein Gesetz aus den Jahren nach dem amerikanischen Bürgerkrieg. Im jetzt zur Entscheidung stehenden Fall hatte eine schwarze ehemalige Bankangestellte erfolgreich gegen ihren Arbeitgeber geklagt, weil sie wegen ihrer Hautfarbe in entwürdigender Weise behandelt worden sei. Das Anti–Diskriminierungsurteil von 1976 wird gegen Ende dieses Jahres auf der Tagesordnung des Gerichtshofs stehen, eine Entscheidung wird erst im Sommer nächsten Jahres erfolgen. Falls es umgestoßen würde, hätte dies weitgehende Konsequenzen für die Rechte von Minderheiten am Arbeitsplatz, denn seit 1976 haben mehr als hundert nachgeordnete Gerichte ihre Fortsetzung auf Seite 2 Entscheidungen auf jenes Urteil gestützt. Die fünf Supreme– Court–Richter bestritten in der Mehrheit die Absicht, die Entscheidung von 1976 umzukehren, sie wollten sie lediglich überprüfen. Die Minderheit hatte ihnen vorgeworfen, mit ihrer „spontanen Entscheidung den Glauben von Opfern rassischer Diskriminierung an eine stabile Konstruktion der Bürgerrechtsgesetze“ zu gefährden. Es ist in den letzten Jahrzehnten nicht vorgekommen, daß der Supreme Court ein eigenes Urteil, das Bürgerrechte von Minderheiten erweiterte, zurückgenommen hat. Nicht nur Bürgerrechtler reagierten empört und überrascht auf den Beschluß des Obersten US–Gerichtes. Auch zwei der überstimmten Richter gaben zornige Kommentare ab. Er verstehe nicht, was seine Kollegen dazu treibe, eine Entscheidung gegen die Rassendiskriminierung revidieren zu wollen, sagte Richter Harry Blackmun. Der Supreme Court hat in den USA eine wesentlich größere Bedeutung als das deutsche Bundesverfassungsgericht und hat traditionell eine wesentlich unabhängigere Rolle gespielt. In der Frage der Bürgerrechte von Schwarzen war es in den fünfziger und sechziger Jahren das Oberste Gericht und nicht die Bundesregierung in Washington, die den Weg für die juristische Gleichstellung dieser Minderheiten geebnet hat. Richter im Supreme Court werden auf Lebenszeit ernannt, sie werden vom jeweils amtierenden Präsidenten nominiert und vom Senat bestätigt. Präsident Reagan erlitt im vergangenen Jahr eine empfindliche Niederlage, als sein Traumkandidat Robert Bork vom Senat nach einer wochenlangen öffentlichen Debatte und weitreichenden Protesten aus der Bevölkerung abgelehnt wurde. Reagans Ersatzkandidat Kennedy, der als wesentlich weniger radikal gilt, hatte dagegen kaum Probleme mit der Bestätigung durch das Parlament. Im vorliegenden Fall der schwarzen Bankangestellten hatte ein Vertreter des US–Justizministeriums die Klägerin in einigen Punkten unterstützt. Eine Forderung nach Überprüfung des Urteils von 1976 wurde von ihm nicht erhoben. Auch damals hatte die Bundesregierung die Seite der schwarzen Kläger unterstützt. Der Gerichtsvertreter des Justizministeriums in jenem Fall war niemand anderes als Robert Bork.