Der britischen Seeleute letzter Stand

■ Streikende behindern Fährverkehr in Dover / Management beharrt auf Rationalisierung / Streikbrecher warten in Rotterdam auf ihren Einsatz / Im Falle von Solidaritätsstreiks in anderen britischen Häfen droht der Seeleute–Gewerkschaft die Beschlagnahmung ihres Vermögens

Aus Dover Rolf Paasch

Am Fuße der mächtigen Kreidefelsen von Dover geht er die Strandpromenade entlang. Im unbeschreiblich grauen Anzug, den Mackintosh übergeworfen, verrät ihn sein schlürfender Gang, vornübergebeugt, so als ob es ihm an Rückgrat fehle. Er ist Journalist, wahrscheinlich für eines der berühmt–berüchtigten britischen Boulevardblätter, den Star oder die Daily Mail vielleicht. Er ist - auch das ist ihm anzusehen - auf dem Wege, seine nächste gehässige Story über die britischen Gewerkschaften zu fabrizieren. Am Kreisverkehr der „Eastern Docks“ von Dover stößt er dann auf den Stoff, aus dem die Alpträume der Boulevardpesse geschneidert sind: streikende Seeleute bei dem Versuch, die aufs Schiff fahrenden Lastwagen zum solidarischen Umkehren zu bewegen. Auch am zweiten Tag des Massen–“Pickets“ haben sich vor dem Zugang zum größten Passagierhafen der Welt wieder mehrere hundert Streikposten versammelt. „Wir wollen Sie über den Kanal bringen“, steht da entschuldigend auf einem Plakat der Gewerkschaft angeschlagen, „aber nicht unter den für die Passagiere gefährlichen und für Seeleute unsozialen Bedingungen des Managements.“ Das Management, das hier bestreikt und bekämpft wird, gehört zur Reederei „P & O“, die im Verkehr über den Ärmelkanal normalerweise elf Fährschiffe betreibt. Seit Februar jedoch liegen die Pötte alle in kontinentalen Häfen vertaut, weil sich die britischen Mannschaften weigern, unter den neuen Arbeitsbedingun gen ihrer Reederei in See zu stechen. „P & O“ will auf den Linien nach Dover 360 Entlassungen sowie eine neue Schichtregelung durchsetzen. Die Ruhepause von 48 Stunden nach einer 24–Stunden–Schicht soll auf die Hälfte reduziert werden. Als Ausgleich bietet die Reederei eine Lohnerhöhung von 1.200 DM im Jahr an. Das ganze Rationalisierungspaket, so „P & O“–Chef Sir Geoffrey Sterling, sei nötig, um die Kanalfähren über die nächsten fünf Jahre hin auf den neuen harten Wettbewerb durch den Kanaltunnel vorzubereiten. 1993 müssen die Reedereien dazu in der Lage sein, ihre Preise zu senken, sonst spielt der Kapitalismus im Ärmelkanal „Schiffe versenken“. Die konkurrierenden Reedereien wie „Sealink“ warten das Ende des Arbeitskampfes in Dover mit Spannung ab. Verliert die Seeleute–Gewerkschaft NUS, dann werden auch sie ihre Mannschaften ausdünnen. „Wir sind ja gar nicht gegen gewisse Anpassungen“, so erklärt Frank Bleakley, der die Armbinde eines der nach dem Gesetz zulässigen sechs offiziellen Streikposten trägt. „Aber was die wollen, ist zuviel und zu schnell. 400 von uns innerhalb von drei Monaten einfach rauszuschmeißen.“ Frank und seine Kollegen befinden sich seit zwölf Wochen im Ausstand. Da die NUS mit ihren rund 20.000 Mitgliedern kaum Streikunterstützung zahlen kann, holen sie sich ihr Mittagsmahl in der Suppenküche der Heilsarmee ab. „Die Leute in der Stadt sind großartig, viele Geschäftsinhaber unterstützen uns mit Krediten und Nahrungsmitteln.“ Dennoch, rund 1.000 der ursprünglichen 2.300 Streikenden haben das Angebot der Reederei angenommen und sind zur Arbeit bereit. Frank Bleakley und seinen 720 streikende Kollegen flatterte dagegen am Montag das Entlassungschreiben von „P & O“ ins Haus. „Die haben uns in den drei Monaten schon viermal gekündigt“, bemerkt er trocken. Weiterer Einschüchterung der Streikenden diente auch ein Versuch der Reederei, über Zeitungsanzeigen nicht gewerkschaftlich organisierte Arbeitskräfte anzuheuern. Als wir gegen Mittag in die Kneipe hinüberwechseln, hören wir in den Radio–Nachrichten, daß „P & O“ gerade 200 Streikbrecher nach Rotterdam ausgeflogen hat, damit von dort der Fährbetrieb wieder aufgenommen werden kann. „Die haben doch gar nicht genug qualifizierte Seefahrer, um die Flotte den Sicherheitsbestimmungen entsprechend zu operieren“, gibt sich Brian, ein Deckmatrose, zuversichtlich. Nach der Fährkatastrophe vor Zeebrügge läßt auch keiner der im Fernsehen interviewten Gewerkschaftsführer das Argument der fehlenden Sicherheit auf den Streikbrecherkähnen aus. Es ist aber vor allem die Verpflichtung von nicht gewerkschaftlich organisierten Streikbrechern, welche die Seeleute verärgert. „Mittlerweile geht es nicht mehr nur um die 400 Jobs hier in Dover, sondern um das Überleben unserer Gewerkschaft“, erklärt ein anderes NUS– Mitglied, warum er mit drei Seefahrer–Kollegen heute aus Liverpool hier herunter nach Dover gekommen ist. Als kurze Zeit später die Nachricht eintrifft, daß auch im benachbarten Folkestone, die Crews der rivalisierenden „Sealink“–Linie an den Streikposten umgekehrt seien, bricht Jubel aus. „Warte noch ein paar Tage“, so prophezeien die Liverpooler Seeleute, „und wir haben wieder einen nationalen Streik.“ „Ja, und dann wird wegen illegaler Solidaritätsstreiks das Gewerkschaftsvermögen beschlagnahmt“, entfährt es unserem eingangs vorgestellten Reporter, der sich mit seinem Bierglas in der Hand von hinten an unsere Gesprächsrunde herangepirscht hat. „Nur weil Leute wie du son Scheiß schreiben. Das sind keine von uns organisierten Solidaritätsstreiks, sondern spontane Demonstrationen“, tönt es zurück. „Bist wohl von der Sun oder watt, he! Ihr lügt doch alle wie gedruckt.“ Woraufhin unser Mann bald die Kneipe verläßt. Draußen gleichen die Bilder denen des Bergarbeiterstreiks von 1984 und des Druckarbeiterstreiks von 1986: An der Bürgersteigkante die Polizei, wie sie für „P & O“ Recht und Ordnung aufrechterhält, und etwas hilflos dahinter die Schar der Streikenden, von den Anti–Gewerkschaftsgesetzen der Regierung Thachter diszipliniert. Unser Boulevard– Reporter schreitet unterdessen, nun beinahe aufrechten Ganges, die Strandpromenade zurück. Seine Recherchen scheinen ergeben zu haben, daß dies der letzte Stand der britischen Seeleute sein wird.