Widerstand leisten

■ Das Beratungsgesetz ist unmoralisch

Nun liegt das 218–Beratungsgesetz also offiziell vor. Ins Auge fällt, daß an der Substanz nichts verändert worden ist, trotz wochenlangen Hick–Hacks mit der FDP. „Beratung“ in der BRD bedeutet künftig, daß Frauen zum Austragen überredet werden. Der Paragraph 218 wurde nicht verändert, und dennoch haben die „Lebensschützer“ in der Union ihr Ziel erreicht: Die soziale Indikation ist faktisch gekippt. Und mit der Bestandsgarantie für bestehende Ländergesetze haben Bayern und Baden–Württemberg eben doch den gewünschten Spielraum bekommen, auch für weitere Verschärfungen. Das alles ist eine totale Brüskierung der FDP. Es zeigt, wie einflußlos sie sich mit ihrem Ja zu einem Beratungsgesetz während der Koalitionsverhandlungen bereits gemacht hat. Die FDP darf jetzt ihre Anhörung noch machen, dann wird der Süssmuth–Entwurf durchgezogen. Auch außerhalb der Parteien ist von Widerstand noch wenig zu spüren. Was bisher versucht wurde - das Frauenbegehren, die Verfassungsklage, eine Großdemonstration im Herbst - ist hilflos. Die SPD hält sich bedeckt, die Gewerkschaften sind halbherzig. Die praktische Konsequenz des Beratungsgesetzes ist für jüngere Frauen, die die furchtbare Erfahrung, irgendwelchen Hinterzimmer–Ärzten ausgeliefert zu sein, nicht gemacht haben, noch gar nicht vorstellbar. Aber die Lebensschützer können sich nicht nur deshalb mehr nach vorne trauen. Das politische Klima in der BRD hat sich insgesamt verschärft. Soziale Gegensätze werden krasser, wir leben mit Arbeitslosigkeit und Zwei–Drittel–Gesellschaft. Aber nicht dagegen richtet sich die moralische Empörung, nein, sie zielt auf schwangere Frauen, die abtreiben und so herzlos Kinder „töten“. Die fehlende Moral dieser Gesellschaft in puncto Arbeitslosigkeit wird denen zugewiesen, die für die Moral schon immer zuständig waren: Sie sollen sich zumindest anständig verhalten. Aber konservative Politik zielte immer darauf ab, gesellschaftliche Probleme zu individualisieren. Vielleicht ist der Tötungsvorwurf der Konservativen an die Frauen aber auch ein Reflex auf die Ökologiebewegung und die Grünen: Beide haben die Zerstörung der Natur durch Großtechnologie und kapitalistisches Profitstreben zum Thema gemacht. Sie haben damit eine neue Sensiblität für Eingriffe in natürliche Kreisläufe geschaffen. Die Konservativen reagieren offensichtlich nicht nur mit einem Ökologieminister Töpfer. Sie stellen sich vehement vor das ungeborene Leben und versuchen so zu beweisen, daß sie die Ökologiefrage begriffen haben, nach dem Motto: Wie soll man Regenwürmer schützen und gleichzeitig ein Recht auf Abtreibung (gleich Tötung) haben wollen? Selbst bei den Grünen tauchen dieselben verqueren Fragen auf: Das neue Bewußtsein, der Respekt vor natürlichen Kreisläufen, stabilisiert ein Denken, das die Schwangerschaft als Zwei–Personen–Beziehung begreift. Das ist im Grunde inhuman und kann sich nur gegen die Frauen richten. Es zeigt, wie tief patriarchalisches Denken verwurzelt ist, wie oberflächlich der feministische Ansatz verankert ist, wo das Selbstbestimmungsrecht der Frau konsequent im Mittelpunkt steht. Ursel Sieber