Wirtschaftsfaktor menschliches Erbgut

■ Der US–Kongreß beriet über die Gesamterfassung der menschlichen Gene / Aus Washington Silvia Sanides

Unbestritten war am Mittwoch im US–Kongreß die Frage, daß die Erforschung der genetischen Bausteine des Menschen nicht mehr aufzuhalten sei. Doch die Entschlüsselung der Gene kostet Geld: pro Baustein einen Dollar. Bei drei Milliarden Bausteinen nicht gerade billig. Die US–Regierung soll nun die Finanzierung dieses Projekts übernehmen. Die ethischen Folgen der späteren Eingriffsmöglichkeiten traten dabei in den Hintergrund.

„Wir haben Kopernikus und Galilei, Darwin und Freud verkraftet, wir werden auch mit der Gesamterfassung des menschlichen Erbguts fertig werden.“ So lautete das Fazit des Professors für biomedizinische Ethik Thomas Murray über die gesellschaftlichen Auswirkungen der Erforschung des menschlichen Erbguts auf einer Kongreßanhörung in Washington. Anlaß der Anhörung am Mittwoch war die Veröffentlichung einer Studie des „Kongreßbüros für Technologiefragen“ (Office of Technology Assessment, OTA) über das als „Menschliches Erbgut Projekt“ (Human Genome Project) bekannte Forschungsvorhaben. Das OTA berät den Kongreß in Technologiefragen. Murray, der einzige Bioethiker unter Wissenschaftlern mit Rang und Namen, gab den Ton an, als er ethische Probleme mit der Bemerkung, es sei vergeblich, diese Forschung aufzuhalten, vom Tisch wischte. Daß es nur noch um Ausmaß und Tempo dieses Forschungsvorhabens geht, war der allgemeine Konsens der Anwesenden. Auch die OTA–Studie befaßt sich mit der Art und Weise, wie das Projekt am effizientesten gesteu ert und finanziert werden soll. Grundsätzliche Fragen über die Auswirkungen des neuen Wissens auf die Gesellschaft werden dagegen nur am Rande behandelt. Nicht die Erfassung des menschlichen Erbguts selbst, so die Studie, kann mißbraucht werden, sondern die Anwendung des neuen Wissens. Damit aber werde man sich später befassen. Bioethiker Murray dazu: „Es gibt bestimmt Dinge, die wir nicht tun sollen.., das aber ist nicht das gleiche wie die Behauptung, daß wir etwas nicht wissen sollen.“ Diskriminierung auf Grund von Gentests am Arbeitsplatz oder bei Versicherungen zum Beispiel könne ebenso effektiv durch Gesetze verboten werden wie Diskriminierung auf Grund von Rassen– oder Geschlechterzugehörigkeit, stellte Thomas Murray optimistisch fest. Einig waren sich die Forscher, daß die Gesamterfassung des menschlichen Erbguts wegen des enormen Umfangs des Projekts einer Koordination durch die Regierung bedürfe. Ebenso herrschte Übereinstimmung in Fragen der Finanzierung: Drei Milliarden Dollar über die kommenden 15 Jahre verteilt wünschen sich die Biologen, Gelder, die der Kongreß neben dem normalen Forschungsetat bewilligen soll. Dafür versprachen die Experten die Diagnose und Heilung von erblichen und infektiösen Krankheiten beim Menschen, Fortschritte in der Veterinär– und Pflanzenmedizin und nicht zuletzt eine sichere Stellung der US–Pharmaindustrie auf dem Weltmarkt. Die Medizin der Zukunft wird auf genetischem Wissen basieren, resümierte Molekularbiologe James Watson, renommierter Mitentdecker der Doppelhelixstruktur der DNS. Die USA werden das beste Gesundheitssystem der Welt haben, prophezeite Mark Pearson vom Pharmakonzern DuPont und winkte mit dem Zaunpfahl: Ohne die großzügige Finanzierung des Projekts seitens der Regierung sei die Privatindustrie nicht bereit, diese Forschung zu betreiben. Auch der Kongreßabgeordnete und Leiter der Anhörung, Ron Wyden, orakelte in seiner einführenden Ansprache: „Wenn wir dieses Forschungsvorhaben nicht unterstützen, wird die amerikanische Wissenschaft und Industrie in der Suche nach besserem Verständnis über Krankheiten - vielleicht auf immer - ins Hintertreffen geraten.“