piwik no script img

Gescheiterte Flucht aus der Colonia Dignidad

■ Ein junger Mann floh aus der deutschen Terrorsiedlung in Chile, wurde zur Polizei gebracht und dort von einem Suchtrupp der Siedlung abgeholt / Chilenisches Gericht begann Inspektion der Colonia Dignidad / amnesty international nennt erste Besichtigung erfolgreich

Santiago (afp/rtr/taz) - Ein Fluchtversuch aus der schwerbewachten deutschen Siedlung „Colonia Dignidad“ im Süden Chiles ist offenbar gescheitert. Wie erst jetzt bekannt wurde, entkam vor zwei Wochen der 24jährige Jürgen Szurgelies zunächst aus der mit Stacheldraht umzäunten und von bewaffneten Wächtern gesicherten Kolonie. German Riesco, führendes Mitglied der konservativen Nationalpartei, berichtete in Santiago, der Flüchtling sei auf einer Farm, 20 Kilometer von der Colonia Dignidad entfernt, aufge griffen worden. Der Verwalter habe ihn zur Polizei gebracht, die ihm allerdings die erbetene Hilfeleistung verweigert habe. Nach mehreren Stunden sei dann ein Suchtrupp der Kolonie mit Hunden aufgetaucht und habe den sehr verängstigten Mann, der keinerlei Widerstand geleistet habe, zurückgeholt. Am Donnerstag begann eine chilenische Richterin mit der Inspektion der Umgebung der Colonia Dignidad. Im Zuge eines Rechtshilfeverfahrens sollen Wegbeschreibungen chilenischer Zeugen überprüft werden, die vor einem Bonner Gericht behauptet hatten, Mitte der 70er Jahre vom chilenischen Geheimdienst in die Siedlung gebracht und dort gefoltert worden zu sein. Die Aussagen waren in einem Prozeß gefallen, den die Colonia Dignidad gegen amnesty international angestrengt hatte, nachdem die Menschenrechtsorganisation behauptet hatte, die Siedlung habe als geheimes Folterlager gedient. „Für uns war dieser erste Teil der Inspektion sehr zufriedenstellend, weil sie praktisch den Wahrheitsgehalt der Zeugenaussagen bestätigte“, erklärte der amnesty–Anwalt Maximo Pacheco nach der Inspektion. Am nächsten Donnerstag will die Richterin, die außer von Pacheco auch von Helmut Hopp, der der Führung der Siedlung angehört, und dem Geschäftsführer der deutschen Sektion von amnesty international, Walter Roevekamp, begleitet wird, die Colonia Dignidad selbst inspizieren und ihre Führer befragen. Auf Ersuchen des Auswärtigen Amtes, das sich in Chile übrigens ebenfalls von Rechtsanwalt Pacheco vertreten läßt, sollen in einem andern Verfahren die Vorwürfe der Freiheitsberaubung und Mißhandlung in der Kolonie untersucht werden. Die Bundesregierung hat Chile ebenfalls „nachdrücklich“ aufgefordert, der Botschaft in Santiago ein Gespräch mit dem verhinderten Flüchtling zu ermöglichen. Im Februar hatten geflüchtete Mitglieder der Siedlung vor einem Unterausschuß des Bundestages von Folter, sexueller Mißhandlung und Gehirnwäsche in der deutschen Siedlung berichtet, die vom 1961 aus der Bundesrepublik geflüchteten Sektenführer Paul Schäfer geleitet wird. thos

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen