: Ein Arbeitskampf als Volksbewegung
„Wir vom Betriebsrat können für nichts mehr garantieren“, rief der Rheinhausener Betriebsratsvorsitzende Manfred Bruckschen im November vor rund 10.000 Menschen während einer Belegschaftsversammlung in der Halle des alten Walzwerks der Stahlhütte. Das war zu Beginn einer Aktionswoche, in der die Rheinhausener Stahlkocher Aktionsformen entwickelten, wie sie bislang in deutschen Betrieben noch nicht praktiziert worden waren. Meh rere hundert Stahlarbeiter besetzten in der Nacht zum 2.Dezember die Rheinbrücke zwischen Rheinhausen und Duisburg–Huckingen und verursachten ein Verkehrschaos im morgendlichen Berufsverkehr. Acht Krupp–Standorte wurden durch Solidaritätsstreiks zeitweise stillgelegt. Und wenige Tage später, am 7.Dezember, rückten rund hundert aufgebrachte Stahlarbeiter den Managern auf den Pelz und stürmten eine Aufsichtsratssit zung in der Bochumer Krupp– Stahl–AG. Alle sonst von der deutschen Arbeiterbewegung so peinlich genau beachteten sozialpartnerschaftlichen Benimmregeln haben die Rheinhausener Stahlarbeiter im Kampf gegen die Stillegung ihres Werks außer Kraft gesetzt, nachdem die Pläne des Krupp–Stahl–Managements am 26.November letzten Jahres bekanntgeworden waren. Bereits einen Tag später stand das Stahlwerk still, ohne Urabstimmung, als spontane Antwort der Belegschaft auf die provokative Ankündigung des Krupp–Stahl–Chefs Gerhard Cromme, die Hütte mit ihren 5.300 Beschäftigten bis Ende 1990 vollständig stillzulegen. Auch vor dem „Allerheiligsten“ haben die Krupp–Stahlarbeiter alle Ehrfurcht verloren. Zwei Tage, nachdem sie die erste Aufsichtsratssitzung mit ihrem Besuch beehrt hatten, sprengten rund 500 Arbeiter eine weitere Sitzung des Aufsichtsgremiums in der Villa Hügel, dem Sitz der Krupp– Dynastie in Essen. Erst als der Aufsichtsrat verspricht, Alternativpläne des Betriebsrats zu prüfen, verlassen sie das Haus. Seinen Höhepunkt erreichte der Kampf der Rheinhausener Arbeiter am 10.Dezember letzten Jahres mit der Blockade Duisburgs und Straßensperrungen im gesamten Ruhrgebiet. Für die Klagen wegen des fehlenden Eingreifens der Polizei interessieren sich nur einige CDU–lastige Medien. Die Bewegung der Rheinhausen riesigen Halle des alten Walzwerks teil. Gottesdienstbesucher Minister Norbert Blüm wurde dabei ganz unchristlich mit Eierwürfen empfangen. Im Februar reihten sich dann schließlich mehr als 80.000 Menschen in eine 75 Kilometer lange Menschenkette zwischen dem Rheinhausener Krupp–Werk und der Dortmunder Hoesch–Hütte, mit der am Vorabend der Bonner Ruhrgebietskonferenz die Solidarität unter den Stahl–Belegschaften beschworen wurde. Aber schon damals zeigte sich, daß die Rheinhausener mit ihrem betrieblichen Kampf alleine bleiben würden. Die Hoffnung auf eine branchenweite Ausweitung des Konflikts durch die IG Metall innerhalb der Stahltarifrunde wurde enttäuscht. Im Frühjahr schließlich legte der Krupp–Betriebsrat sein Alternativkonzept zur Erhaltung des Rheinhausener Standortes vor, das schon erhebliche Zugeständnisse an das Management enthielt: ein Hochofen sollte stillgelegt, 2.000 Arbeitsplätze sollten abgebaut werden. Aber das Management blieb hart, lehnte das Konzept als indiskutabel ab. Erneut warfen die Stahlarbeiter die Brocken hin. Die NRW–Landespolitiker hatten sich die ganzen Wochen zuvor deutlich aus dem Konflikt zurückgezogen. Erst durch die Veröffentlichung des Mitschnitts eines Telefongesprächs zwischen Krupp– Stahl–Chef Cromme und Thyssen– Chef Kriwet am 9.April durch die taz wurden sie wieder auf Trab gebracht. Dort berichtete Cromme, die Landesregierung habe ihm zu verstehen gegeben, wenn Rheinhausen schon dichtgemacht werden solle, dann doch bitte möglichst schnell, um den Konflikt aus der Welt zu schaffen. Die Landesregierung reagierte mit einem heftigen Dementi, schließlich mußte sogar Cromme einen Rückzieher machen. Damit war die politische Basis für die Vermittlerrolle des Ministerpräsidenten Rau hergestellt. Das Ergebnis liegt nun vor. Daß es die Rheinhausener Arbeiter, die die Region mit ihrem Kampf über Monate in Atem gehalten haben, zufriedenstellt, ist unwahrscheinlich. Martin Kempe INTERVIEW
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