Ein grünes Solidargewand für den Lohnverzicht?

■ Bei den Grünen geht die Diskussion um die Lafontaine–Forderungen jetzt erst richtig los / Ein „Solidarvertrag“ für Unternehmer, Staat und Gewerkschaften „Sind wir alle ein bißchen schuld an der Arbeitslosigkeit?“ / IG Metall–Tarifexperte Klaus Lang sieht bei den Grünen Vormarsch der „neokonservativen Hegemonie“

Aus Bonn Charlotte Wiedemann

Als die Grünen auf ihrem Ludwigshafener Parteitag mit knapper Mehrheit Lafontaines Vorstöße zur Lohnpolitik ablehnten, war allen Beteiligten klar, daß die Diskussion damit nicht beendet war, sondern erst begonnen hatte. Schon die eigene programmatische Ausgangslage der Grünen ist interpretierbar: Voller Lohnausgleich nur für untere und mittlere Einkommen. Diese innerparteiliche Kompromißformel galt bisher als „nahezu identisch“, wie es in einer alten grünen Broschüre heißt, mit der Gewerkschaftsposition: Voller Lohnausgleich für alle Tarifeinkommen, die in der Regel bei 5.000 Mark enden. Kaum war jedoch der Konflikt zwischen Lafontaine und den Gewerkschaften aufgerissen, meldeten einige Grüne Urheberrechte auf den Verzichts–Appell des Saarländers an, nach dem Motto: Das fordern wir schon ganz lange und viel besser. Nur vordergründig dreht sich diese Verwirrung darum, ob überhaupt und wieviele Arbeitsplätze neu entstehen würden, wenn die Creme der Bestverdienenden auf Gehaltsanteile verzichten würde. Zu Recht können die Grünen darauf verweisen, daß sie mit ihrem Entwurf eines Arbeitszeitgesetzes und ihrem sozial–Ökologischen Umbauprogramm Vorschläge gemacht haben, die Arbeitsplätze in ganz anderen Größenordnungen schaffen könnten. Allein ein gesetzliches Verbot von Überstunden könnte 300.000 Arbeitslosen einen Job verschaffen. Doch sind diese Programme von einer parlamentarischen Durchsetzung Lichtjahre entfernt - und mit einer Mobilisierung von unten eine politische Arbeitslosen–Bewegung zu schaffen, ist ohnehin kaum im Blickfeld grüner Geschäftsträger. Wie weit die gesellschaftspolitischen Orientierungen bei den Grünen angesichts dieses Dilemmas auseinanderdriften, machte jetzt eine Sondersitzung der Bundestagsfraktion deutlich. Nur eine Minderheit, wie etwa Ulrich Briefs und Verena Krieger, wies jegliches Liebäugeln mit Verzichts–Appellen kategorisch zurück. Willi Hoss, als Lafontaine– Befürworter schon vor Wochen hervorgetreten, bewältigte in der Debatte auch die eigene Betriebsratsvergangenheit: Jahrelang habe man versucht, den Kampf gegen die Unternehmer zu organisieren; jetzt sei eine Zäsur und neues Nachdenken nötig. Die Gewerkschaft könne erst nach Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit ihre Handlungsfähigkeit wiedergewinnen und müsse deshalb davon Abschied nehmen, Lohn– und Arbeitszeit–Forderungen zu stellen. Wie hoch die Gewinne der Unternehmer auch sein mögen: Angesichts der gegenwärtigen Kräfteverhältnisse, so leuchtete es auch anderen ein, könne man eben nicht zugleich Geld und Arbeitsplätze fordern. Und wer das trotzdem mache, finde sich mit der hohen Arbeitslosigkeit ab. Eckart Stratmann legte gemeinsam mit einem Wirtschaftsmitarbeiter den Entwurf eines „Solidarvertrags“ vor, der die Fraktion noch weiter beschäftigen wird: Unternehmer, Staat und Gewerk schaften müßten einen „je angemessenen Beitrag“ zur Überwindung der Erwerbslosigkeit leisten. Angemessen für die Beschäftigten ist nach dem Stratmann– Modell, daß - gestaffelt nach Alter und Kinderzahl - ab einem Brutto–Verdienst von 3.700 bis 5.200 Mark auf Lohnausgleich verzichtet wird. Daß Stratmann wie auch andere gleichzeitig von den Unternehmen fodert, sie müßten „in erster Linie“ den Kostenausgleich bei Arbeitszeitverkürzung tragen, nannte Verena Krie ger „eine radikale Phrase, die keinerlei praktische Relevanz für die grüne Politik“ hätte. Kriegers Befürchtung, daß sich bei den Grünen das Denken breitmache: „wir sitzen alle in einem Boot und sind alle ein bißchen schuld an der Arbeitslosigkeit“, wurde am stärksten durch eine Fraktionsmitarbeiterin genährt, die die selbstgestellte Frage „Was bieten wir den Unternehmern an im Tausch gegen Arbeitsplätze?“ so beantwortete: „Wenn man nicht an die Löhne ran will, muß man überlegen, bei der Flexibilisierung einzusteigen“. Gegenüber den Gewerkschaften, die selber im Kampf um Arbeitszeitverkürzung kaum Erfolge vorweisen können, mischen sich linke und rechte Töne in der grünen Kritik. Klaus Lang, Tarif– Experte beim IG Metall–Vorstand, mußte sich vorhalten lassen, die Gewerkschaften hätten noch nicht einmal die „kleine Umverteilung“, nämlich die Besserstellung der Frauen am unteren Ende der Lohnskala, geschafft. Wenn nun aber gegen Lafontaine die „solidarische Tarifpolitik“ hochgehalten werde, müßten die Frauen „das Gruseln“ bekommen, meinte Marie–Luise Beck– Oberdorf. Daß der IGM–Funktionär auf der notwendigen Veränderung der ökonomischen Verhältnisse beharrte, tat der Abgeordnete Hubert Kleinert als „folgenlose Rhetorik“ ab. Kleinert hatte zuvor in einem Stern–Interview für einen „ökologischen Kapitalismus“ plädiert und den Grünen geraten, ihr Verhältnis zu den Unternehmern zu „entrümpeln“. Wie diese „Entrümpelung“ aussehen wird, auch gegenüber den Gewerkschaften, ist vorerst im innergrünen Tauziehen noch offen. Der Gast von der IG Metall jedenfalls zeigte sich „sehr, sehr nachdenklich“ darüber, wie weit es schon mit der „neokonservativen Hegemonie“ sei. Diejenigen bei den Grünen, die Verzicht auf Lohnausgleich für ein akzeptables und realitätstüchtiges Mittel halten, mehr Arbeitszeitverkürzung durchzusetzen, können sich nun auch auf eine Stimme der Basis berufen. Der „Arbeitskreis Erwerbslose“ der bayrischen Grünen fragte in einer Anzeige polemisch: „Warum dulden wir, daß die Mehrheit der Grünen auf der letzten Bundesversammlung beschlossen hat, daß diejenigen, die nichts haben, auch weiterhin nichts bekommen?“ Die grüne Gewerkschafts–AG bevormunde die Erwerbslosen. Daß Lafontaine einen „Keil in die Arbeitnehmerschaft“ getrieben habe, wie manche Grüne bedauernd feststellen, zeigt auch in den eigenen Reihen Wirkung.