Heuchler

■ Rheinhausen wird politisch vermarktet

Jetzt sind sie alle voll des Lobes. Selbst die FDP, die sich in den letzten Monaten darin gefiel, den Kampf der Stahlarbeiter nahezu täglich zu denunzieren, will jetzt mitfeiern. Bei der SPD werden Heldenarien auf Rau angestimmt, die den Sängern eigentlich die Schamesröte ins Gesicht treiben müßten. Rheinhausen wäre ohne ein Wort aus der Staatskanzlei am 2. Mai beerdigt worden, hätte es da nicht einen Streik, ein abgehörtes Telefongespräch und die Blockade einer Düsseldorfer Rheinbrücke gegeben. Daß es letztlich überhaupt etwas zu „vermitteln“ gab, ist nicht der Politik, sondern allein dem fünfmonatigen Kampf der Rheinhausener Stahlkocher zuzuschreiben. Aus deren mutigen und manchmal auch verzweifelten Einsatz glauben andere nun Honig saugen zu können. Daß dabei die SPD möglichweise mehr Süßstoff erlangt als die CDU, ist derzeit der Christdemokraten größte Sorge. Alle zusammen gebärden sich wie eh und je: als elende Wichtigtuer. Die Macht, etwas anderes als die Konzeption der Stahlbarone durchzusetzen, lag zu keinem Zeitpunkt bei den Politikern, sondern in erster Linie bei der IGM. Doch der Bundesvorstand in Fankfurt, allen voran der Vorsitzende Franz Steinkühler, wollte keinen branchenweiten Kampf um eine „solidarische Schrumpfung“, und deshalb konnte Rheinhausen nicht gewinnen. Die Möglichkeiten - zur Zeit wird soviel Stahl nachgefragt wie nie -, den Stahlbossen über ökonomischen Druck etwas anderes abzupressen, waren besser als je zuvor. Doch welche Chancen haben die Stahlkocher, wenn ein ehemaliges IGM–Vorstandsmitglied Krupp–Chef Cromme ermuntert, nur nicht nachzulassen und auf der geplanten Stillegung schon 1989 zu beharren. Wie soll eine Belegschaft siegen können, wenn der selbe Edelmetaller zu Recht von Cromme als „250 Prozent auf unserer Seite stehend“ bezeichnet wird. Die Niederlage war mit Sicherheit spätestens dann unumgänglich, als die eigenen Leute im Rücken auftauchten. Walter Jakobs