Die Tür zur US–Staatsbürgerschaft klappt zu

■ Das einjährige Amnestieprogramm der US–Einwanderungsbehörde lief am Mittwoch aus / Zwei Millionen Anträge / Allerdings wird die Gesamtzahl der illegalen Einwanderer „ohne Dokumente“ auf sechs Millionen geschätzt

Aus Washington Stefan Schaaf

Michael Ferrell braucht eine Kopfschmerztablette. „Vielleicht auch zwei oder am besten vier!“ ruft er durch den Raum. Michael Ferrell ist Direktor der US–Einwanderungsbehörde INS in Arlington, und er hat seit dem frühen Morgen Interviews gegeben. Jetzt brummt ihm der Schädel, aber das tut seiner guten Laune keinen Abbruch. In dem ebenerdigen Großraumbüro der INS herrscht eine Stimmung wie an der Ziellinie eines Marathonlaufs: erschöpft, aber zufrieden. In wenigen Stunden läuft die einjährige Frist für illegale Einwanderer ab, in der sie eine reguläre Aufenthalts– und Arbeitsgenehmigung beantragen konnten. Solange dieses Amnestieangebot galt, haben fast zwei Millionen Menschen von ihm Gebrauch gemacht. Bisher wurden fast eine Million Anträge akzeptiert, lediglich 20.000 wurden abgelehnt. Ob das ungewöhnliche, 1986 vom Kongreß nach jahrelangem Tauziehen beschlossene Angebot ein Erfolg war? Aber natürlich, bestätigt er. „Nun gibt es eine Million legaler Einwanderer, die voll und ganz am American Way of Life teilhaben können.“ Das bringt vor allem Sicherheit: „Sie brauchen nicht mehr zu befürchten, daß sie an ihren Arbeitsplätzen aufgegriffen werden, sie sind auch nicht mehr der Willkür von Arbeitgebern ausgeliefert, die ihnen oft nicht einmal den Mindestlohn zahlten.“ Die Einwanderungsbehörde hat viel Lob dafür erhalten, daß sie das Programm großzügig gehandhabt hat und ihr Immigrantenjäger–Image Lügen strafte. Doch erntete sie Kritik, weil sie die Antragsfrist nicht über Anfang Mai hinaus verlängern wollte. Das Büro in Alexandria, wenige Meilen südlich von Washington D.C., ist für die Bundeshauptstadt und den Bundesstaat Virginia zuständig. In den letzten zwölf Monaten haben dort 14.305 Männer, Frauen und Kinder einen Antrag auf Aufenthaltsberechtigung gestellt. Auch jetzt kommen laufend Leute durch die Tür und bleiben mit suchendem Blick nach einigen Schritten stehen. „Kann ich Ihnen helfen?“ fragt eine der Freiwilligen hinter der Informationstheke, der Einfachheit halber gleich auf spanisch. „Hier ist das Formular, Sie müssen es ausfüllen und mit ei ner Postanweisung über 185 Dollar an einem der Schalter abgeben.“ Einige Dutzend Antragsteller, die meisten jungen Männer, offenkundig lateinamerikanischer oder asiatischer Herkunft, sitzen auf den langen Reihen von Plastikstühlen und studieren die Formulare. Um „legalisiert“ werden zu können, müssen sie vor allem nachweisen, daß sie seit dem 1. Januar 1982 in den USA gelebt haben. Vielen ist es schwer gefallen, die dazu notwendigen Dokumente zu beschaffen. Akzeptiert werden Mietverträge, Arbeitsbescheinigungen, Kontoauszüge oder andere Spuren einer Existenz auf US–amerikanischem Boden. Anna Portillo vom „Lateinamerikanischen Jugendzentrum“ in Washington hat seit einem Jahr Immigranten beraten und ihnen bei der Legalisierung geholfen. Sie sagt, daß die Antragsteller häufig ausgenutzt werden: „Es ist oft vorgekommen, daß Vermieter oder Arbeitgeber versucht haben, mit dem Amnestieprozeß Geld zu machen“, indem sie ihren ehemaligen Mietern oder Beschäftigten Geld für die von der INS verlangten Bescheinigungen abgeknöpft haben. „25 oder 50 Dollar waren der übliche Preis“. Der Ausstieg aus der Illegalität konnte so zu einem recht kostspieligen und langwierigen Unterfangen werden. Viele Arbeitgeber sind schwer zu finden, das Unternehmen ist vielleicht umgezogen oder hat längst zugemacht. Außerdem kostet auch der Antrag selbst Geld, 185 Dollar pro Person, maximal 420 Dollar pro Familie. Doch der Kongreß wollte ein Programm beschließen, das sich kostenmäßig selbst trägt. Das Amnestiegesetz sollte einen klareren Überblick über die Millionen von illegalen Einwanderern erbringen, die zum Teil seit Jahrzehnten in den USA leben. Doch bis zum heutigen letzten Tag haben sich weniger Menschen als erwartet gemeldet, nur knapp zwei der möglicherweise bis zu sechs Millionen Immigranten „ohne Dokumente“, wie sie in den USA bezeichnet werden. „Es wird weiterhin ein Einwandererproblem geben“, sagt Orlando Mayorga, Direktor des „Hispanischen Komitees von Virginia“. Er kritisiert vor allem das Stichdatum für die Amnestie, den Januar 1982. Die meisten illegalen Einwanderer in Washington und Virginia stammten aus El Salvador, sagt er, und seien erst nach 1982 vor dem Bürgerkrieg in ihrer Heimat geflohen. Für sie wird die Zukunft schwieriger werden, denn das Amnestiegesetz schließt eine Bestimmung ein, die es Arbeitgebern nun erstmals verbietet, illegale Immigranten zu beschäftigen. Ab dem nächsten Jahr riskiert ein Unternehmer dafür eine Geldstrafe. Die angeblich abschreckende Wirkung dieser Bestimmung ist bisher jedoch ausgeblieben. Nachdem der Strom eine Zeitlang dünner geworden war, überqueren nun wieder Hunderte von Mexikanern jede Nacht die Grenzen der Vereinigten Staaten.