Polens Polizei stürmt Lenin–Hütte

■ Brutaler Polizeieinsatz im Hüttenwerk von Nowa Huta / Lech Walesa glaubt nicht mehr an die Vernunft der Regierung / Regierungssprecher Urban spricht von friedlichen Aktionen seiner Sicherheitskräfte / Studenten setzen Vorlesungsboykott fort

Berlin (ap/afp/taz) - Entsetzen herrscht in Polen über den brutalen Polizeieinsatz vom Donnerstag morgen in Nowa Huta. Mit Schlagstöcken, Handgranaten und Tränengas drangen Spezialeinheiten der polnischen Sicherheitskräfte auf das Gelände der Leninhütte ein und zwangen die Streikenden buchstäblich auf die Knie. Die Mitglieder des Streikkomitees wurden sofort verhaftet. Angesichts dieser Aktion, die nach Angaben der Opposition viele Verletzte gefordert hat, und der inzwischen 400 Verhafteten, unter ihnen der Sprecher von Solidarnosc, Janusz Oskiewicz, schlugen die Oppositionsführer radikalere Töne an. Er werde der letzte sein, der das Werftgelände verlasse, erklärte das Oberhaupt der verbotenen Gewerkschaft, Lech Walesa, in der Leninwerft in Danzig, der noch am Vortag auf einen Kompromiß gehofft hatte. Er glaube nicht mehr an die Vernunft der Regierung. Die Leninwerft war gestern nachmittag von martialisch ausgerüsteten Sicherheitskräften umstellt. Auch hier erwarteten die streikenden Arbeiter eine direkte Konfrontation. Trotzdem sind aus anderen Landesteilen weitere Streiks gemeldet worden. So setzten die Studenten in Warschau ihren Vorlesungsboykott fort, und 1.000 Bergarbeiter in Lubin sind in den Ausstand getreten. Auch in Stettin sollen Busfahrer streiken. Um vier Uhr morgens waren die Sicherheitskräfte, die berüchtigten ZOMOS, auf dem Werksgelände der Leninhütte Nowa Huta eingetroffen. Sie stürmten sofort in das Gebäude, wo sich das Streikkomitee aufhielt. Während fünf Mitglieder entkommen seien, hätte die Polizei die restlichen 14 Mitglieder abgeführt. Nach ersten Berichten sollen die eingeschlossenen Arbeiter buchstäblich auf die Knie gezwungen worden sein, um eine Verpflichtung zur Wiederaufnahme der Arbeit zu unterschreiben. Etwa 15 Verletzte würden in der Krankenstation der Hütte behandelt, hieß es aus Krakau. Dagegen sprach Regierungssprecher Urban von einer friedlichen Aktion, die in zehn Minuten abgelaufen sei. Dabei sei niemand verletzt worden und die Arbeit verlaufe normal. Entgegen dieser Aussage sind inzwischen jedoch alle Telefonverbindungen nach Nowa Huta unterbrochen worden. er Tagesthema Seite 3