Ecuador: Exzentrik gegen Pragmatik

■ Am Sonntag sind 4,6 Millionen Bürger in Ecuador aufgerufen, den Nachfolger des Staatschefs Cordero zu wählen / Stichwahl zwischen dem Kandidaten des Hochlands, Borja, und dem Kandidaten der Küste, Bucaram

Berlin (taz) - In Ecuador gibt es zwar linke und rechte Parteien zuhauf. Doch wird sich am Sonntag bei der Stichwahl ums Präsidentschaftsamt im Andenstaat, zu der rund 4,6 Millionen Bürger über 18 Jahren aufgerufen sind, zeigen, daß die primäre Trennlinie nicht zwischen links und rechts verläuft, sondern zwischen oben und unten: oben das Hochland, unten die Küste. Der Kandidat des Hochlands mit der Hauptstadt Quito ist der 52jährige Sozialdemokrat Rodrigo Borja, der die Gewerkschaf ten, Bauernorganisationen, Vereinigungen der indianischen Bevölkerung sowie die Christdemokratische Partei hinter sich weiß. Der Kandidat der Küste mit der Industriemetropole Guayaquil ist der 35jährige Abdala Bucaram, der die populistische Tradition Ecuadors wie kein zweiter verkörpert. Während Borja, Gründer und Vorsitzender der „Demokratischen Linken“, als seriöser, aber eben auch langweiliger Pragmatiker ohne Leidenschaft gilt, scheut Bucaram keine Mittel und Sprüche, um seinem Image gerecht zu werden. Der Abkömmling libanesischer Einwanderer, der Gründer und Vorsitzender der „Roldosistischen Partei“ ist (benannt nach dem 1981 bei einem mysteriösen Flugzeugabsturz ums Leben gekommenen Präsidenten Jaime Roldos), produzierte sich im Wahlkampf als Schlagerstar mit dem selbstkomponierten Song „Darum hält man mich für verrückt“. Verrückt. Etwa weil er Kinderschuhe für alle verspricht? Jedenfalls präsentiert er sich als Vertreter der underdogs, der mit allen abrechnet: mit der Rechten wie mit der Linken, mit den USA, mit den Millionären. „Mich zu wählen, heißt Dreck in den feinen Klub schleudern“, verkündet er. Damit an seiner Manneskraft kein Zweifel aufkommt, versicherte er jüngst öffentlich: „Natürlich habe ich größere Eier als Febres (der scheidende Präsident, A.d.R.), besser gesagt, ich habe welche, und der hat keine.“ Der frühere Bürgermeister von Guayaquil kann sicher sein, daß ihm solch derbe Anzüglichkeiten Stimmen bringen. Bucaram kann mit der Unterstützung der Geschäftswelt vom Guayaquil wie auch mit Stimmen linksradikaler Gruppierungen rechnen. Als Bucaram 1986 wegen „Beleidigung der Streitkräfte“ angeklagt wurde, floh er nach Panama. Dort wurde er wegen Rauschgiftdealen eingelocht. Rodrigo Borja kandidiert bereits zum drittenmal für das Präsidentschaftsamt. Vor vier Jahren verlor er gegen Febres Cordero, den Kandidaten der Küste und ehemaligen Präsidenten der Handelskammer von Guayaquil. Cordero war dem Diktat des Internationalen Währungsfonds willig wie kaum ein anderer lateinamerikanischer Präsident gefolgt und hinterläßt nun seinem Nachfolger eine ruinierte Wirtschaft. Borja, dem bei der Stichwahl am Sonntag größere Siegeschancen als seinem Gegner eingeräumt werden, will den Einfluß des Staates auf die Wirtschaft stärken, beschwichtigt aber gleichzeitig verängstigte Wirtschaftskreise im Aus– und Inland: Er werde seinem sozialdemokratischen Parteifreund Alan Garcia im benachbarten Peru nicht folgen und die Banken nicht verstaatlichen. Die zehn Milliarden Auslandsschulden des Landes hält er „unter den gegenwärtigen Bedingungen für nicht zahlbar“. Trotz seiner sozialdemokratischen Provenienz scheint Borja auch der Günstling der USA zu sein, jedenfalls für sie das kleinere Übel. Vor zwei Wochen schaltete sich Elliott Abrams, Abteilungsleiter für Lateinamerika im State Department, in den ecuatorianischen Wahlkampf ein: Er spekulierte offen über die Möglichkeit eines Militärputsches, falls der Exzentriker Bucaram das Rennen machen sollte. Thomas Schmid