„Israel reagiert mit Panik und Wut“

■ Die israelische Rechtsanwältin Felicia Langer zum illegalen Vorgehen der Armee gegen die Palästinenser in den besetzten Gebieten und den juristischen Möglichkeiten, die Verantwortlichen zu belangen

Felicia Langer ist eine der bekanntesten Rechtsanwältinnen Israels, die sich seit 20 Jahren für die Palästinenser in den besetzten Gebieten engagiert. Die polnische Jüdin, die 1950 nach Israel einwanderte, wurde am 5. Februar in Dachau vom Verein Demokratischer Juristinnen und Juristen mit dem Hans–Litten–Preis geehrt. Hans Litten war Strafverteidiger in den politischen Prozessen der Weimarer Republik und kam vor 40 Jahren im KZ Dachau ums Leben. taz: Nach der 4. Genfer Konvention hat eine Besatzungsmacht die Rechte und das Eigentum der betroffenen Zivilbevölkerung zu achten. Mit welchen Gesetzen herrscht der Rechtsstaat Israel in Westbank und Gaza? Felicia Langer: Israel hat offiziell erklärt, daß die Genfer Konvention die von ihm besetzten Gebiete nicht betrifft. Die dort angewandten Gesetze wurden vom zuständigen Oberkommandierenden der Armee erlassen, oder es sind die Gesetze, die zum Zeitpunkt der Okkupation 1967 dort gültig waren. Zu diesen zählt Israel auch die britischen Notstandsgesetze von 1945, obwohl sie nach der Mandatszeit von England außer Kraft gesetzt worden sind und nach den Angaben jordanischer Juristen danach auch nicht angewandt wurden. Das aber wird von Israel bestritten. Während der jüngsten Unruhen wurde Gewalt angewandt, die selbst diesen rechtlichen Rahmen sprengt. Gibt es juristische Möglichkeiten, die Verantwortlichen zu belangen? Ich versuche derzeit gegen Verteidigungsminister Rabin und den Oberkommandierenden der Armee in Gaza wegen Erteilung illegaler Befehle Anklage zu erheben. Der erste Fall betrifft 19 zusammengeschlagene und angeschossene Bewohner von Gaza. Weiterhin vertrete ich vier Bewohner des westjordanischen Dorfes Bait Fajar. Tatsächlich wurden nicht nur sie, sondern fast die ganze Dorfbevölkerung in ihren Häusern verprügelt und verwundet. Ich weiß von keinen Soldaten, die sich den Befehlen, Knochen zu brechen, widersetzten. Aber die Zahl der Israelis, die sich weigern, in den besetzten Gebieten zu dienen, geht in die Hunderte und steigt weiterhin. Warum reagiert Israel so überaus brutal? Man hat begriffen, daß dies nun eine entscheidende, qualitativ neue Phase des Unabhängigkeitskampfes ist, nämlich ein totaler, das ganze Volk umfassender Widerstand. Deswegen will ihn die Führung mit allen Mitteln zerschlagen. Sie reagiert mit Panik, Wut und Angst. Sie weiß, daß es ernst ist. Wenn sie die Situation nicht in den Griff bekommt, wird nichts mehr so sein wie zuvor. Wieviele Palästinenser wurden seit 1967 ins Ausland verbannt? Tausende, nach Artikel 112 der Notstandsgesetze von 1945, der dies erlaubt. Haben die vielen, die derzeit von Deportation bedroht sind, vor dem Obersten Gerichtshof Israels eine Chance? Theoretisch ja. Jedoch haben wir es bis heute kein einziges Mal geschafft, diese Instanz zu überzeugen, daß Deportationen völkerrechtswidrig sind. Wie gesagt, fühlt sich Israel im Falle der besetzten Gebiete nicht an die Genfer Konvention gebunden. Aufgrund dieser Erfahrungen lassen sich viele schon gar nicht auf einen Prozeß ein, zumal sie auch bis zum Ende über die eigentlichen Anklagepunkte im Unklaren gelassen werden. Erst recht gibt es nach vollzogener Deportation keine juristischen Wege, die eine Rückkehr erlauben könnten. Israel betrachtet die besetzten Gebiete als militärische Sperrzone. Ohne Erlaubnis kommt da keiner rein. In dieser Zeitung wurde die Frage gestellt, ob der Begriff der Deportation, ein Schlüsselwort aus unseren dunkelsten Jahren, im Falle der Palästinenser nicht unangebracht sei. Es gibt Epochen in der Geschichte, die mit keiner anderen zu vergleichen sind. Aber auch bei den Palästinensern brauchen wir nicht zu vergleichen, sondern nur mitanzusehen, daß Deportation das Schlimmste ist, was man ihnen antun kann. Sie können nirgendwo hin, haben keinen Paß, keine Identität, nichts. Diese Entwurzelung ist für sie etwas dem Tod Gleichwertiges. Deshalb ziehen es einige auch vor, in ihrer Heimat umgebracht zu werden oder dort für immer im Gefängnis zu verschwinden. Interview: Verena Klemm