SPD: „Geil“ - CDU: „Katastrophe“

■ Siegesfeiern bei der SPD ab 16.45 Uhr / Zusammengefaltete Regenschirme bei der CDU / Björn Engholm neuer Kaiser an der Waterkant / CDU gibt auch Journalisten Schuld an der Niederlage

Aus Kiel Petra Bornhöft

In der SPD–Pressestelle knallen schon um 17.45 Uhr die Sektkorken. Der Song „Its now or never“, dessen Titel als Wahlaufkleber in den letzten Wochen gedient hatte, tönt vom Band. In der Kantine des Landeshauses, umgeräumt für die SPD–Wahlparty wie fast der gesamte dritte Stock der ehemalige kaiserlichen Militärakademie, bricht um 18.02 Uhr nicht enden wollender Jubel aus: Die letzte Umfrage vor Schließung der Wahllokale sieht die Sozialdemokraten bei 53 Prozent. Das übertrifft sämtliche Umfragen der vergangenen Tage. „Oberaffengeil“ ruft eine junge Frau und wirft sich ihrem Freund in die Arme. MdB Heide Simonis, die neue Finanzministerin bleibt als eine von ganz wenigen auf ihrem Stuhl sitzen. Auf die Frage der taz–Korrespondentin nach einem ersten Statement, antwortet die neue Finanzministerin: „Oh Mann, ich glaubs noch nicht. Aber wenn es bei diesem Ergebnis bleibt, dann ist das irgendwo gerecht.“ Ebenso zurückhaltend noch Landwirtschaftsminister Hans Wiesen: „Einfach riesig, aber abwarten.“ Also wurde erst mal gegessen und getrunken. Kieler Realschüler, die das Thema Wahl im Unterricht gerade durchnehmen, fanden „Freibier und Freiessen einfach super“. Von der SPD gingen sie ein Stockwerk tiefer zur CDU. Dort verliert sich ein stilles Häuflein auf schwarzen Plastikstühlen unter zusammengefalteten Regenschirmen. Abgeordnete trauen sich um diese Zeit nicht in den Raum. Wortlos verfolgen die Konservativen die ersten Hochrechnungen. Um 18.22 Uhr, die CDU liegt nun bei 35,3 Prozent, hofft der Landesvorsitzende der Jungen Union, Thomas Stritzl, noch: „Warten Sie ab, die SPD geht noch runter.“ Der Mann täuscht sich, aber er macht keinen Hehl daraus: „Das Ergebnis ist eine Katastrophe.“ Und Stritzl, auf dem sicheren CDU–Listenplatz 8, sagt mit einem etwas verkrampften Lächeln auf den Lippen: „Jetzt muß gekämpft werden.“ Es gäbe keine „monokausale Erklärung“, aber ganz sicher sei „die Barschel–Pfeiffer–Affäre ein ganz entscheidender Faktor“. Dieser Meinung sind fast alle CDU–Anhänger im Raum, die immer enger zusammenrücken. Allmählich geraten sie in die Minder heit. SPD und Jusos strömen herein, genießen Sekt, Würstchen und Kartoffelsalat auf Kosten der Konservativen. Das ärgert eine Unternehmerin aus Preetz maßlos: „Da sehen Sie, dieses geistige Niveau“, die rundliche Dame schnappt nach Luft und wirft einen langen Blick auf das vor ihr stehende Mineralwasser, „ist nun die Basis in Schleswig–Holstein, wie furchtbar.“ Ungerührt zieht sich ihr Gegenüber den Sekt rein, ruft bei der nächsten Hochrechnung laut „Bravo“. Kein Konservativer wagt zu widersprechen. Ihnen fehlen einfach die Worte. Die finden dann mühsam die CDU–Spitzenpolitiker vor den Fernsehkameras. Stoltenberg schimpft unverhohlen auf die „SPD–nahen Journalisten“, auch der noch amtierende Ministerpräsident Hennig Schwarz (CDU) beklagt bitter, daß „die Presse nicht viel getan hat, meine Aktivitäten nach vorn zu bringen“. Da wird ein Kieler Journalist fuchsteufelswild: „Das ist doch eine bodenlose Frechheit.“ Zu diesem Zeitpunkt findet auch die CDU–Basis ihre Sprache wieder, fällt über die Medien her, und ganz leise sagt eine Auszubildende: „Die Spitzenleute der Union haben diese Niederlage verdient, die Partei nicht.“ Unterdessen fragt sich auf der SPD–Etage alle Welt, „Wo ist Björn“, zweifellos der neue Kaiser von der Waterkant. Um 19.08 Uhr tritt er im Fernsehen auf, minutenlanger Beifall in der Kantine und auf dem Flur. Seine Worte gehen in dem Jubel unter. Landwirtschaftsminister Wiesen kann schon nicht mehr so ganz grade gehen: „Mädchen, ist das nicht wahnsinnig?“ Wiesen wird heute „erst mal schlafen, schlafen, schlafen und dann zur Landesvorstandssitzung gehen“. Wo die stattfinden wird, weiß Wiesen nicht, „meine Zeitrechnung hörte am 8.Mai auf“. Ein Landtagskandidat machte sich schon vor Bekanntwerden der Wahlergebnisse auf die Suche nach einer neuen Zukunft. Prof. Reinhard Guldager, Vorsitzender der „Unabhängigen Wählergemeinschaft Schleswig–Holstein“ (UWSH), saß im Zimmer des SSW. Als Karl Otto Meyer kurz vor 18 Uhr vom Kirchentag der dänischen Minderheit ins Landeshaus kam, sagte Guldager: „Karl Otto, ich beantrage politisches Asyl bei Euch.“ Karl Otto schien nicht abgeneigt.