Es darf regiert werden

■ Der Machtwechsel in Schleswig–Holstein ist vollbracht, jetzt wartet der politische Alltag

„We are the champions“ jubelten die Sozialdemokraten auf der Wahlparty am Sonntag abend, während die Restparteien noch ihre jeweiligen Niederlagen verdauten. Ob die SPD das auch noch von sich behaupten kann, wenn erste Erfolge ihres politischen Wirkens gefordert sind, sei dahingestellt. Was in der Opposition einfach zu fordern war, dürfte angesichts des nach wie vor schwarzen Staatsapparates in Schleswig–Holstein nicht so einfach umzusetzen sein. Auch die wirtschaftliche Macht im nördlichsten Bunesland bleibt unverändert in den Händen der CDU

Am härtesten traf es den NDR. Der Moderator der gestrigen Morgensendung wußte überhaupt nicht mehr, was er über den Äther dudeln sollte. „Black is Black“ schied aus, „Yellow submarine“ fand er gemein, „Grün ist die Heide - vor Neid“ ging nicht und das „Knallrote Gummiboot“ schien „etwas aufgeblasen“. Also folgte ein „parteiübergreifendes Liebeslied“. Aber dann konnte es der Schwarzfunk nicht lassen, spielte den Schlager von Gus Backus „Nimm nicht jedes Pech persönlich“. Im Landeshaus wühlten unterdessen Aufräumkommandos der zwölf Fernsehstationen und Putzfrauen. Besonders die Klos seien „total versaut“, schimpften die Angestellten. Geschäftsmäßige Betriebsamkeit auf der CDU– Etage trieb Journalisten zu dem vergeblichen Versuch, diejenigen Papiere der Konservativen zu entdecken, die jetzt in den Reißwolf kommen. Nachdem die Wahlplakate von Stoltenberg und Hoffmann von den Bürotüren verschwunden sind, lacht niemand mehr bei den Konservativen. Es war eben eine „bittere Niederlage“, wie Stoltenberg am Vorabend um 21 Uhr feststellte. Da kämpft der CDU–Chef sichtbar mit seiner Beherrschung, die typischen roten Flecken im Gesicht verraten innere Aufregung. Dann fragt ein Reporter: „Herr Stoltenberg, die schwerste Affäre seit 1945, die größte Niederlage Ihrer Partei - was muß eigentlich noch passieren, damit Sie zurück treten?“ Haarscharf knallt Stoltenberg an einem Wutausbruch vorbei, quetscht sich mit schneidender Stimme hervor: „Ich lasse mich auch von provozierenden Fragen nicht zu einer Erklärung hinreißen.“ Neben ihm knetet Hoffmann, dessen Adern an der Schläfe bedrohlich hervortreten, seine Hände. „Eine außerordentlich bittere Niederlage“, sagt der CDU–Spitzenkandidat, dessen Lippen die meiste Zeit zu einem Strich zusammengepresst bleiben. Aber der Eindruck des niedergeschlagenen Verlierers hält sich nicht lange. Schon um 23 Uhr, Hoffmann traf sich vorher in der SPD–Etage hinter verschlossenen Türen mit Engholm, sieht man den Pommern mit gelöstem Blick durchs Landeshaus spazieren. „Er hat seit März auf die Ohrfeige gewartet, nun hat ers hinter sich“, murmelt ein Beobachter. Stoltenberg dagegen, der die Abreibung in Bonn und Kiel noch vor sich hat, wird am Abend nirgendwo mehr gesichtet. Um 22.30 ist die „Wahlparty“ der CDU beendet. Ohnehin hatten sich im Raum der Konservativen nur die Genossen am schwarzen Sekt, Bier und Wein gütlich getan. „Qualvoll, dies mit anzusehen“, meinte die verschwindend geringe Zahl der Unions–Anhänger. Die Medien seien schuld an der Katastrophe, grollt der harte Kern. Eine Ansicht, die auch bei den Grünen oft zu hören ist. Die taz habe „die Niederlage herbeigeschrieben“ meckern Ökos vor ihren Wurstbroten und dick panierten Frikadellen. Vier Platten sind schnell leergegessen, die Pressekonferenz um 19.15 - bereits am Freitag angekündigt– besuchten nur taz und dpa. Weg sind sie, wild entschlossen, nun die außerparlamentarische Arbeit zu stärken und die SPD „kritisch zu begleiten“. Etwas einfallsreicher formuliert es Karl Otto Meyer vom Südschleswigschen Wählerverband vor den Journalisten. Er wolle im Landtag „wie eine Stecknadel den Björn pieken“. Das wird der FDP versagt bleiben. Ihr Spitzenkandidat wurde bleich auf einer Feuerleiter hängend beobachtet, überstand den Abend irgendwie und dementierte Gerüchte, der Landesvorstand werde komplett zurücktreten. Während die abendlichen Pressekonferenzen sich dahinschleppen, leert sich die SPD–Etage im dritten Stock, wo man ohnehin nichts anderes hörte als „oberaffengeil“, „riesig“, „wahnsinnig“. Die Genossen und ihre Anhänger ziehen in die Räucherei, einem Bürgerzentrum in Kiel– Gaarden. Drinnen und draußen wird mit dem Lied „We are the champions“ gefeiert und gedrängelt. „Ich bin Fleisch, Himmel, Arsch und Zwirn“ brüllt ein Dicker, der in der Enge fast umgestoßen wird. „Kein Konzert kann ne bessere Stimmung geben“, schreit ein Jüngerer, Typ Lehrer mit Rucksack, seinem Nachbarn im blauen Sakko zu. Ein total übermüdetes Kind friert und weint. „Wo bliv denn nu Björn“, fragt ein Grauhaariger im Pullunder. Endlich kündigen Scheinwerfer und gellendes Jubelgeschrei ihn an. Die Masse rast. Jemand setzt Engholm rote Indianerfedern auf den Kopf. Das ist ihm sichtlich unangenehm und der Häuptlingsschmuck verschwindet eine Sekunde später im Gewühl. „Das ist der besonderste Tag für Schleswig–Holstein“, ruft Engholm und erinnert unter Riesenbeifall an den Kieler Matrosenaufstand und Jochen Steffen, dem „dieser Erfolg leider versagt blieb“. Wieder einmal beweist der neue Ministerpräsident, wie gut er sein Publikum einschätzen kann, hier in der Räucherei schwitzen Linke, die begeistert kreischend die Nachricht hören, der Schriftsteller „Jurek Becker fängt heute abend an, sich ein Haus in Schleswig–Holstein zu kaufen. Das ist eine Chance für unser Land.“ Merklich konfus dankt der neue Landesvater den „anständigen Brüdern und Schwestern von drüben, die mir soviel Unterstützung gewährten“. Da wird ihm wohl klar, daß er mittelschweren Schwachsinn von sich gibt und bekennt: „So recht weiß ich nicht, was ich sagen soll. Laßt uns einen trinken.“ Jetzt bleibt nur noch Flucht in eine ruhige Kieler Kneipe. Umsonst. Denn da sinnieren zwei stadtbekannte Oberrealos beim Bier über das „parteiinterne Gerubbel“ und registrieren, die Grünen seien „am Strom der Zeit“ vorbeigeschwommen. Aber da ist ja noch die Kleine Anfrage zur Volkszählung im Kieler Stadtrat, nächste Woche. Petra Bornhöft