Totengräber Chirac

Jacques Chirac war wohl eher zum Totengräber denn zum Präsidenten geboren. 1974 schaufelte er bereits das gaullistische Grab, als er dem Aristokraten Valery Giscard dEstaing gegenüber seinem gaullistischen Präsidentschaftsmitbewerber Chaban–Delmas den Vorzug gab. Sieben Jahre später stürzte er denselben Giscard, als er seine Wähler mit einer undurchsichtigen Wahlaussage in die Arme Mitterrands trieb. Doch auch die mutigste Wahltaktik konnte den Pompidou–Zögling nicht retten. Heute nun hat Jacques Chirac sein eigenes Grab ausgehoben. Dabei erschien seine politische Zukunft noch vor nicht langer Zeit so vielversprechend. Als Premierminister der Cohabitation hatte sich der einst als aggressiv und jähzornig, vor allem aber als skrupelloser Opportunist geltende Gaullistenfürst ein neues Image in der Öffentlichkeit gezimmert. In den vergangenen zwei Regierungsjahren der Rechten lernten die Franzosen in Chirac einen seriösen Staatsmann kennen, der seine politische Programmatik verwirklichte, dabei aber die Spielregeln der Verfassung, den Respekt vor dem Präsidenten, einzuhalten wußte. Niemand wollte mehr bezweifeln, daß Chirac, der im Wahlkampf über die vergleichbar größten finanziellen und politischen Mittel verfügte, wenn schon nicht als Präsident, so doch als unbestreitbarer Führer der Bürgerlichen aus der Cohabitation hervorgehen würde. Indes kam alles anders. Beim ersten Wahlgang der französischen Präsidentschaftswahlen, der das katastrophale Endresultat Chiracs vom Sonntag in logischer Folge nach sich zog, verlor der Premierminister die entscheidenden drei bis fünf Prozent der Stimmen an Jean–Marie Le Pen. Für den reaktionärsten Teil der traditionellen gaullistischen Wählerschaft hatte sich Chirac zu weich und kompromißbereit gezeigt. Diese Wähler wanderten zu den Rechtsradikalen ab. Letztlich zeigt sich, daß die Studenten– und Eisenbahnerstreiks zum Jahreswechsel 1986/87 das Genick des Premierministers brachen, der seither zu einer sozial ausgeglicheneren und weniger ausländerfeindlichen Politik gezwungen war. Auch im Rückblick markieren die Streiks von 1986/87 das einzige sozialhistorische Ereignis der Cohabitations–Phase. Chirac hat dennoch Überlebenschancen. Noch hat sich kein zweiter Führer der Bürgerlichen neben ihm abgesetzt. Da nun das rechts–liberale Zentrum mit Mitterrand eigene Wege gehen wird, bleibt ihm als schärfster Rechtskonkurrent Le Pen. Nimmt er den Kampf gegen ihn auf, ohne sich dabei ideologisch zu verkaufen, kann er die verlorene Autorität zurückgewinnen. Georg Blume