Ein ruhiger Ort am Rand der Kalahari

■ Im Gefolge der Urteile gegen die „Sechs von Sharpeville“ müssen 25 schwarze Angeklagte wegen Polizistenmord mit der Todesstrafe rechnen / Die Rechtskonstruktion der „gemeinsamen Absicht“ wird für die Urteile eine entscheidende Rolle spielen

Aus Johannesburg Hans Brandt

Die 25 schwarzen Südafrikaner, die vor kurzem in der Stadt Upington des Mordes an einem Polizisten für schuldig befunden wurden, werden wahrscheinlich noch einige Monate auf eine Urteilsverkündung warten müssen. Erst dann wird feststehen, wieviele von ihnen tatsächlich zum Tode verurteilt werden. Das Urteil gegen die „Sechs von Sharpeville“ wird bei der Entscheidung als Präzedenzfall eine wichtige Rolle spielen. Etwa 20.000 Schwarze wohnen in Paballello, der schwarzen Township außerhalb der Stadt Upington. Hier, am Rande der Kalahari–Wüste, ist das Leben ruhig. Die Unruhen im November 1985, die zur Ermordung des Polizisten Lucas Sethwala führten, waren die ersten derartigen Vorfälle seit Gründung des Ortes in den 50er. Seitdem ist es auch zu keinen weiteren Auseinandersetzungen gekommen. Die Einwohner von Paballello arbeiten in kleinen Industriebetrieben oder bei den weißen Farmern der Gegend. Zehn der Angeklagten waren zur Zeit des Mordes minderjährig. Unter den anderen befinden sich ein ehemaliger Bürgermeister, ein ehemaliger Polizist, ein angehender Lehrer und zwei enge Freunde des Ermordeten. Der Krankenpfleger Justice Bekebeke (26), der Sethwala tatsächlich mit zwei Schlägen eines Gewehrkolbens tötete, wollte 1986 Medizin studieren. Sieben der Angeklagten wurden von der Polizei auf der Straße aufgegriffen, um bei der Gegenüberstellung von Zeugen mit angeblichen Tätern als „Statisten“ zu dienen. Dabei wurden sie zufällig auch als Täter erkannt. Vor dem Hintergrund landesweiter Proteste gegen die Apartheid war auch in Paballello 1985 eine Jugendgruppe gegründet worden, die dem Oppositionsbündnis „Vereinigte Demokratische Front“ (UDF) nahestand. Anfang November hatten die Jugendlichen eine Bürgerversammlung einberufen, bei der Probleme in der Township - von schlechter Straßenbeleuchtung bis hin zum Alkoholmißbrauch von Schulkindern - besprochen wurden. Nach der Versammlung wurde Tränengas eingesetzt, als die Polizei eine Gruppe angeblich steinewerfender Jugendlicher auseinandertrieb. Daraufhin entwickelte sich eine Art Straßenkrieg, der mit Unterbrechungen drei Tage lang andauerte. Eine Polizeisondereinheit wurde aus dem 400 Kilometer entfernten Kimberley zur Verstärkung herbeigeholt. Bei einer Konfrontation der Sondereinheit mit einer Gruppe Jugendlicher übersetzte einer der Angeklagten die Forderungen der Polizei in die afrikanische Sprache Xhosa. Der Angeklagte sagte aus, die Polizisten hätten die Jugendlichen aufgefordert, sich am nächsten Tag zu Verhandlungen mit der Polizei auf einem Fußballfeld zu versammeln. Die Polizei dementiert das. Dennoch kamen am Tag darauf mehr als 3.000 Menschen zu der Versammlung. Sie wurden von der Polizei aufgefordert, auseinanderzugehen. Sie sangen ein Lied und ein Pastor sprach ein Gebet. Direkt nach dem „Amen“ wurde Tränengas gefeuert. In den folgenden Auseinandersetzungen wurde Sethwalas Haus angegriffen. Der Polizist flüchtete, wurde jedoch später wieder entdeckt und in einem Feld ermordet. „Der Mord hätte vermieden werden können, wenn die Polizei diplomatischer vorgegangen wäre“, sagt Rechtsanwalt Andre Landsmann, der bisher die Verteidigung wahrgenommen hat. Landsmann zufolge hat das Upingtoner Verfahren die Doktrin der „gemeinsamen Absicht“, die erstmals im Fall der „Sechs von Sharpeville“ angewandt wurde, „bis zu ihrem logischen Ende“ weitergeführt. Er glaubt, daß die zehn zur Zeit des Mordes minderjährigen Angeklagten nicht mit einer Todesstrafe rechnen müssen. „Für die restlichen 15 wird es hart werden“, sagte Landsmann.