Alt–Nazi macht Rückzieher

■ Der Prozeß gegen Ernst Römer, der die Exaktheit von Anne Franks Tagebuch bezweifelte, ist vorerst beendet / Nachträgliche Tagebuch–Einfügungen stammten von Freund der Familie

Aus Hamburg Ute Scheub

Miep Gies war ganz umsonst aus Holland angereist. Die sympathische alte Dame sollte als Zeugin vor einem Hamburger Berufungsgericht berichten, wie sie während des Nazi–Terrors die jüdische Familie Frank in einem Amsterdamer Hinterhaus versteckte und was sie von dem Tagebuch Anne Franks wußte. Doch dazu kam es nicht mehr: Im Namen seines abwesenden Mandanten Ernst Römer nahm Anwalt Jürgen Rieger mit Verachtung im Blick die Berufung zurück. Der mittlerweile 83jährige Rentner Römer hatte im Jahre 1976 aus Anlaß einer Inszenierung des Tagebuchs vor den Hamburger Kammerspielen Flugblätter verteilt, und das Tagebuch des 1945 im KZ Bergen–Belsen umgebrachten Mädchens als „Propagandamärchen“ bezeichnet. Otto Frank, Vater von Anne und einziger Überlebender der Familie, habe einen „jüdischen Romanschreiber“ nachträglich die Dialoge schreiben lassen. Wegen übler Nachrede war Ernst Römer dafür in erster Instanz zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Dasselbe widerfuhr dem einschlägig bekannten NS–Aktivisten Edgar Geiss, der aus Solidarität mit dem Angeklagten die gleichen Flugblätter nochmal verteilt hatte. Als ein Gutachten des Bundeskriminalamtes im Jahre 1980 zu dem Schluß kam, kleine Einfügungen im Original seien mit erst seit 1951 bestehenden Kugelschreibern gefertigt worden, triumphierten rechtsradikale Kreise bereits. Doch die Notizen - Seitenzahlen vor allem - hatte ein Freund des im selben Jahr verstorbenen Vaters von Anne Frank vorgenommen. Wie sehr die Neonazis die Symbolfigur Anne Frank hassen, deren in 36 Sprachen übersetztes und über 16 Millionen mal verkaufte Aufzeichnungen die Welt erschütterten, machte stellvertretend der 58jährige Edgar Geiss deutlich. „Dieses Denkmal“, so rief er am ersten Verhandlungstag, „wird wie alle anderen antideutschen eines Tages stürzen“. Sang– und klanglos wurde der Prozeß gegen Ernst Römer beendet, als er am zweiten Verhandlungstag die Rücknahme seiner Berufung verkünden ließ. „Gewissenlose Journalisten“ hätten seinen Mandanten pausenlos bedrängt und fotografiert, so sein Anwalt Rieger, so daß sich sein Gesundheitszustand akut verschlechtert habe und er nicht mehr in der Lage sei, das Verfahren durchzustehen. Das Verfahren gegen Edgar Geiss war schon am ersten Prozeßtag abgetrennt worden, nachdem ein anwesender Arzt ihn wegen eines akuten Lymphknotenkrebses für verhandlungsunfähig erklärt hatte. Wenn es Geiss nach einer Chemotherapie wieder besser geht, soll der Prozeß wieder aufgenommen werden.